Die Agora Energiewende lässt aufhorchen: Der Thinktank hat sich einen Plan überlegt, wie ein Kohleausstieg bis 2040 umgesetzt werden kann. Mit diesem „Kohlekonsens“ könnte es gelingen, die Diskussion in Berlins politisches Herz zu tragen. In unserer Hauptstadt hatte auch Umweltministerin Barbara Hendricks begonnen, diesen konsequenten Schritt einer Wende weg von konventionellen hinzu erneuerbaren Energien zu fordern. Was ist von dem Fahrplan zu halten?

Die Diskussion gelang nun einen Schritt weiter nach „oben“. Bislang war die Position von „unten“ und in der Opposition vertreten worden. Nennenswert sind da der Zusammenschluss von NGO´s zur Klimaallianz, die Positionierung der Grünen und Bewertungen einiger Wissenschaftler.

Das besondere an der Agora Energiewende ist, dass dort ein politisch wahrscheinlicher Konsens durchdacht wird. So sitzen dort vielfältige „Stakeholder“ inklusive der Energiekonzerne mit am Tisch (Rat). Diese Interessens-Mischung führt zu durchsetzbaren Ansätzen, die jedoch auch mal ein Schneckentempo anvisieren können. Wenn man die Energiewende frei von einer Interessenswahrung denkt, kommt man auf schnellere – aber manchmal unwahrscheinlichere – Lösungen. Mir wäre ein früheres Verfallsdatum für Kohlekraftwerke lieber. Schauen wir uns die elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens an.

„schrittweise“ ist fair

Der Subtitel „Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors“ transportiert bereits einen bedeutenden Punkt: schrittweise.

Es ist wichtig, dass man eine Planbarkeit für die betroffenen Energiekonzerne herstellt. Der Gesetzgeber muss zwingende Termine für den Kohleausstieg nennen. Jedoch kann es nicht abrupt gehen. Sonst würde man eine gezielte Destabilisierung wie in der Photovoltaik-Industrie anrichten.

Einschätzung zu den „elf Eckpunkten für einen Kohlekonsens“

1 Zeitnahe Einberufung eines „Runden Tischs Nationaler Kohlekonsens“

Die Bundesregierung lädt zeitnah zu einem „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“ ein. Es geht dabei um einen vertrauensvollen Dialogprozess zur Aushandlung der Kernelemente eines Ausstiegs aus der Kohleverstromung, um einen erneuten jahrzehntelangen energiepolitischen Fundamentalkonflikt zu vermeiden. Ziel sollte es sein, noch 2016 zu einem politisch und gesellschaftlich breit getragenen Ergebnis zu kommen, damit – analog zu Steinkohlekonsens und Atomkonsens – alle Beteiligten frühzeitig Planungssicherheit hinsichtlich der anstehenden Dekarbonisierung erhalten.

grünWichtig und richtig ist, dass die Diskussion schnell – in diesem Jahr – beginnt. Offen ist die geeignete Zusammensetzung dieses runden Tisches.

2 Ein schrittweiser, gesetzlich geregelter Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland erfordert Klarheit bei drei Kernelementen: Die Nutzung der Kohle in Deutschland braucht ein Enddatum, an dem sich alle orientieren können, der Ausstieg erfolgt entlang eines klar definierten Pfads und er muss Rechtssicherheit für alle Beteiligten bieten. Kompatibel mit den deutschen Klimaschutzzielen ist ein schrittweiser Ausstieg aus der Kohleverstromung beginnend 2018 mit dem Enddatum 2040. Er sollte in Gesetzesform gefasst und mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

grünEs ist gut die Verbindlichkeit und die Mehrheit anzuregen.
Etwas schneller wäre mir lieber.

3 Kein Neubau von Stein- und Braunkohlekraftwerken

Der Neubau von Braun- und Steinkohlekraftwerken ist nicht mehr genehmigungsfähig, weil diese mit den mittel- und langfristigen Klimaschutzzielen in Deutschland nicht vereinbar sind.

grünAuch den dritten Punkt finde ich richtig gut. Eigentlich ist es eine Schande, dass dieser noch nicht realisiert worden ist.

4 Festlegung eines kosteneffizienten Abschaltplans der Bestands-Kohlekraftwerke auf Basis von Restlaufzeiten mit Flexibilitätsoption in den Braunkohlerevieren

Um den Ausstieg aus der Kohleverstromung kosteneffizient und ohne Strukturbrüche zu realisieren, wird ein verbindlicher Abschaltplan der bestehenden Braun- und Steinkohlekraftwerke auf Basis von Restlaufzeiten festgelegt. Die Reihenfolge der Stilllegungen orientiert sich an den CO₂-Vermeidungskosten. Die jährlichen Stilllegungen werden in der Einstiegsphase 2018 bis 2025 auf drei Gigawatt begrenzt. Innerhalb der jeweiligen Braunkohlereviere ist zur Vermeidung von Dominoeffekten die Übertragung von Restlaufzeiten möglich.

rotDie „Kosteneffizienz“ klingt erst einmal gut. Jedoch müssen auch Klimaziele zum tragen kommen. Es kann nicht sein, dass es nur darum geht, dass die Betreiber ihren Kragen retten können. An diesem Punkt geht es um das Tempo bis 2040. Im ungeregelten negativen Fall könnte die Mehrzahl der Kapazität erst kurz vor dem Ablaufdatum vom Netz genommen werden.

5 Verzicht der nationalen Politik auf zusätzliche Klimaschutzregelungen für Kohlekraftwerke über den Abschaltplan hinaus

Die Bundesregierung legt sich verbindlich fest, einerseits keine Regelungen zusätzlich zum vereinbarten Abschaltfahrplan zu ergreifen, die die weitere Nutzung der Kohle einseitig diskriminieren würden. Andererseits werden jedoch auch keine Stilllegungsprämien für die Abschaltung von Kohlekraftwerken gewährt.

grünEs ist richtig keine weiteren Förderprogramme für Kohlekraftwerksbetreiber zu eröffnen, wie es mit der „Klimaschutzreserve“ der Fall ist. Wie bereits zum vorherigen Punkt gesagt wurde, müssen Emissionsgrenzen gezogen werden, um frühe Abschaltungspunkte zu ermöglichen.

6 Kein Aufschluss weiterer Braunkohletagebaue und Verzicht auf Einleitung neuer Umsiedlungsprozesse

Aufgrund des verringerten Braunkohlebedarfs bei einer sukzessiven Abschaltung der Kraftwerke bis 2040 ist kein Neuaufschluss von Braunkohletagebauen oder Tagebauteilabschnitten mehr notwendig. Auf die Umsiedlung zahlreicher Dörfer kann verzichtet werden.

grünGenau richtig!

7 Finanzierung der Folgelasten von Braunkohletagebauen über eine Abgabe auf die künftig noch geförderte Braunkohle

Zur Finanzierung der Rekultivierungs- und Nachsorgelasten nach Beendigung des Braunkohletagebaubetriebs wird eine Stiftung gegründet. Die Stiftung erhält die benötigten Mittel aus einer Abgabe auf jede in Zukunft bis 2040 noch geförderte Tonne Braunkohle. Die Höhe der Abgabe wird auf Basis eines zu erarbeitenden Gutachtens über die Höhe der Folgekosten festgelegt. Erwartet werden Kosten von etwa 2,5 Euro je MWh Braunkohlestrom.

grünGenau richtig! Das Prinzip der „Internalisierung externer Kosten“ findet statt. Das Gegenteil wäre die häufig beobachtete Abwälzung auf „das Volk“.

8 Aktive Gestaltung und dauerhafte finanzielle Absicherung des ausstiegsbedingten Strukturwandels über einen Strukturwandelfonds

Im Bundeshaushalt wird ein „Strukturwandelfonds Braunkohleregionen“ eingestellt, der über die gesamte Transformationsphase mit jährlich 250 Millionen Euro ausgestattet wird. Die Aufteilung auf die Regionen erfolgt entsprechend der Zahl der in den einzelnen Revieren betroffenen Arbeitsplätze. Über die Verwendung der Mittel entscheiden die jeweiligen Landesregierungen.

grünEs ist eine guter Ansatz, etwas für die Betroffenen tun zu wollen. Wie dies genau aussehen und was die „Kohlekumpel“ statdessen machen  können ist offen. 

9 Gewährleistung der gewohnt hohen Versorgungssicherheit über den gesamten Transformationszeitraum

Die Politik stellt im Wege geeigneter Reserve- und Monitoring-Regelungen das gewohnt hohe Niveau der Versorgungssicherheit in Deutschland auch für die Zukunft sicher. Um größtmögliche Kosteneffizienz zu erreichen, werden notwendige Reserven technologieoffen ausgeschrieben und einem kontinuierlichen Überprüfungsprozess unterzogen – insbesondere ab dem Jahr 2025, wenn erwartungsgemäß der Zubau neuer Gaskraftwerkskapazitäten notwendig wird. Am Ende des Ausstiegszeitraums wird ein Teil der dann abzuschaltenden letzten Steinkohlekraftwerke für einen Übergangszeitraum in eine Kapazitätsreserve überführt.

rotEs werden Reserven ausgeschrieben. Da sind wir wieder bei einem Förderprogramm für Energiekonzerne. Kommt hier ein Ersatz für den Kapazitätsmarkt durch die Hintertür?

10 Stärkung des EU-Emissionshandels und zeitnahe Stilllegung der im Zuge des Kohleausstiegs frei werdenden CO₂-Zertifikate

Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene aktiv für eine Stärkung des EU-Emissionshandels ein, unter anderem im Kontext der für 2020 zu erhöhenden EU-Ambitionen aufgrund des Pariser Klimaschutzabkommens. Hierzu gehört auch die Einführung einer Regelung, dass die wegen des Kohleausstiegs frei werdenden CO₂-Zertifikate, die nach geltendem EU-Emissionshandelsrecht ab 2019 der Marktstabilitätsreserve zugeführt werden, endgültig stillgelegt werden.

orangeDer Entzug von Zertifikaten ist immer eine gute Sache – die Preise für Luftverschmutzung sind schließlich lächerlich gering. Ob jedoch der EU-Emissionshandel jemals ein wirksames Instrument wird bleibt abzuwarten.

11 Absicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der energieintensiven Industrie während der Transformationsphase

Wegen steigender Anteile Erneuerbarer Energien werden die Börsenstrompreise in Deutschland aufgrund des Merit-Order-Effekts voraussichtlich weiter auf niedrigem Niveau verharren. Für den Fall, dass sich diese Erwartung als nicht zutreffend erweist, sichert die Politik insbesondere der energieintensiven Industrie zu, sie gegen mögliche Belastungen ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung durch geeignete Maßnahmen abzusichern. Zugleich setzt die Politik Anreize für die weitere Verbesserung der Energieeffizienz und Fortschritte bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft insgesamt, weil auch dies perspektivisch nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

rotGegebenenfalls Teile der Industrie anders aufzufangen kann sinnvoll sein. Hier fehlt eine ehrliche und transparente Förderpolitik! Der niedrige Börsenstrompreis scheint gut für Industriekunden zu sein. Zugleich verteuert dieser durch das EEG-Paradoxon die Umlage für das EEG und macht Kohle-Kraftwerke und Gas-Kraftwerke unrentabel. Bislang wird an dieser Stelle eine öffentliche Fehldarstellung der Kosten erneuerbarer Energien gemacht und zugleich werden die Schlupflöcher zur Unterstützung von Industrien vertuscht.

Fazit

Es ist eine herausragender Versuch, das Thema in die konkrete politische Diskussion heben zu wollen. Viele Vorschläge der Agora erscheinen mir sehr gut. Es ist eine gute Diskussionsgrundlage. Jedoch überzeugt mich nicht alles.

Zwischen den Zeilen steht dort:

Liebe Energieindustrie, die Kohlekraftwerke müssen in den nächsten 24 Jahren abgeschaltet werden. Es wird gutes Geld dafür geben.

Mein Energoeblogger-Kollege Frank Urbansky fragt sich sogar, ob es ein vergoldeter Kohleausstieg ist. Mir ist der Vorschlag zu langsam und zu teuer. Irgendeine Zahlung wird vermutlich durch das realpolitische Berlin an die Kohlekonzerne fließen „müssen“. Dieser Betrag für die „geförderte Reservekapazität“ aber muss in den Verhandlungen noch minimiert werden. Dafür müssen die richtigen Leute am Tisch sitzen.