Wir wollen erforschen, wer unser Klima am besten schützen kann und will. Zum Auftakt dieser Erkundungsreise in die Akteurslandschaft habe ich mit Hans-Josef Fell gesprochen. Der Grünen-Politiker lebt seit 1985 in einem vollständig erneuerbar beheizten und verstromten Holzhaus mit Gründach, ist einer der drei Hauptautoren des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes aus dem Jahr 2000 – jenem EEG, das als Startschuss kräftig zum globalen Boom erneuerbarer Energien beigetragen hat. Diese Erfolge sind für mich ein guter Grund, bei den Einschätzungen von Hans-Josef Fell gut zuzuhören.

Unser Interview haben wir online per Videokonferenz geführt. Sie können sich den Videomitschnitt gerne anschauen.

Strategie für gesamte Klimaschutzbewegung

Verschriftlicht habe ich eine Zusammenfassung. Denn Herr Fell hat mir nicht nur beantwortet, wer am besten unser Klima schützen kann und will, sondern gleich eine gesamte Strategie umrissen, wie die unterschiedlichen Strömungen der Klimaschutz- und Energiewendebewegung zusammen mehr Durchschlagskraft erlangen können.

Wer kann theoretisch am besten das Klima schützen?

Hans-Josef Fell: „Das entscheidende sind die Menschen selbst, dass sie es tun. Das ist keine einzelne Akteursgruppe, sondern ist die gesamte Menschheit. Und je mehr Menschen sich klimaschutzgerecht verhalten, keine Emissionen mehr ausstoßen und viel Kohlenstoffsenken organisieren, umso eher wird das Klima dadurch dann auch positiv gefördert. Wenn jeder Mensch keine Klimagasemissionen mehr produziert, dann ist die Menschheit dort, wo sie sein muss.

„Jedes Abwälzen ist immer eine Erklärung dafür, selbst nichts zu tun.”

Hans-Josef Fell: „Jedes Abwälzen auf die anderen – also “Ich muss es jetzt nicht als Individuum tun, die Politiker müssen mal.”, und die Politiker sagen “Die Leute könnten doch schon längst, warum machen die es nicht anders.” – jedes Abwälzen ist immer eine Erklärung dafür, selbst nichts zu tun, seinen Verantwortungsbereich nicht in den Blick zu nehmen, und genau das darf eigentlich nicht sein.

„Wie organisiert man, dass viele Menschen Klima schützen?”

Zusammenfassung einer Strategie für die gesamte Klimaschutzbewegung

Die bayrische Solarbewegung aus den 90er Jahren nannte Hans-Josef Fell als Beispiel, wie es gelingen kann. Dort organisierten hunderte Solarinitiativen dezentral vor Ort kleine Messen, Vorträge und Beratungen, so Fell. In Bayern sei so im Jahr 2010 die höchste Solardichte der Welt entstanden, obwohl die Staatsregierung das so gut wie gar nicht unterstützte.

„Die wichtigste Akteursgruppe sind lokale Initiativen”

Hier setzt die Strategie an. Schlagkräftig unterstützt werden können Klimaschutzinitiativen durch eine Hilfestellung bei der Selbstorganisation:

  • Wie schare ich Leute um mich, die mithelfen?
  • Wie gründe ich eine Genossenschaft?
  • Wie gründe ich eine Verkehrsgruppe, die einen elektrischen Bürgerbus macht oder lokale Lobbyarbeit für bessere Fahrrad-Infrastruktur macht?
  • Wie bewegt man eine Kommune hin zu einer solaren Baupflicht?

Nach Herrn Fells Erfahrung kann viel entstehen, wenn Initiator*innen Klimaschutz in die Hand nehmen – dies kann systematisch erleichtert werden. Dafür könne man an neutraler Stelle Musterpräsentationen zur Verfügung stellen. Beispielsweise könnten es 100 PowerPoints sein, die allesamt konkrete Unterstützung bei der Durchsetzung lokaler Klimaschutz-Schritte bieten und Open-Source für alle zur Verfügung stehen. Dies könnte auch in Form eines White-Label-Contents erfolgen, das lokale Initiativen nutzen, und dabei ihre eigene Identität wahren bzw. ausprägen können. Whitelabel bedeutet, dass Materialien ohne ein „fremde” Logo und Farben des Absenders genutzt werden können, sondern an die eigene Identität angepasst werden können.

Machen das nicht Energie- und Klimaschutzagenturen?

Energie- und Klimaschutzagenturen verbreiten insbesondere Informationen über die technisch-rechtliche Umsetzung der Energiewende. Initiativen benötigen jedoch darüber hinaus Informationen, wie sie sich selbst organisieren können.

Für kommunal oder ministeriell getragene Energie- und Klimaschutzagenturen ergibt sich hier ein Zielkonflikt. Denn diese müssen überparteilich arbeiten und können sich daher bei lokalpolitischen Forderungen die Finger verbrennen.

Es braucht eine Bündelung der Klimaschutzströmungen

Für eine strategische Unterstützung von Graswurzelbewegungen müssen sich Akteur*innen finden, die es in die Hand nehmen.

Wer könnte eine gute Rolle spielen?

  • Es könnte gelingen, in bestehende Solarinitiativen, Energiegenossenschaften und Agenda-Gruppen erneut ein Feuer zu entfachen.
  • Science for Future könnte wissenschaftlich abgesichertes Know-How einbringen.
  • Fridays for Future könnte weiter demonstrieren und darüber hinaus vor Ort konkreten Klimaschutz anschieben. Die gute Vernetzung- und Organisationsstruktur wäre dafür gut geeignet.
  • Die Umweltverbände wie BUND, NABU, Greenpeace oder WWF könnten sich zusammentun. Dafür müssten sie sich auf Landes- und Bundesebene zusammensetzen.
  • Kirchliche Gruppen könnten sich ebenfalls vor Ort engagieren.

Für einen solchen Schulterschluss braucht es auch Mut, um aus der eigenen Gruppe heraus auf andere zuzugehen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

„Es ist immer ein Zusammenspiel aus Oben und Unten”

Ein Missverständnis wollte Herr Fell ausdrücklich ausräumen: Auch wenn die Strategie „unten” in der Gesellschaft ansetzt, bleibt es ein Zusammenspiel mit der Politik und von „unten” und „oben”. So gelingt lebendige Demokratie. Die notwendige politische Unterstützung mit optimalen Klimaschutzgesetzen, ist am leichtesten durchzusetzen, wenn sie in der Breite der Gesellschaft gelebt wird. Durch klimabewusstes Wahlverhalten und aktive Übernahme von politischen Mandaten auf allen Ebenen – kommunal bis ins EU Parlament – durch Klimaschützer wird dann allmählich Politik die Gesetze für den Klimaschutz optimieren. Wer schweigt und sich zurückzieht, muss sich nicht wundern, wenn richtungsweisende Entscheidungen zu häufig durch wirtschaftliche Einzelinteressen der fossilen Wirtschaft geprägt werden.

Ich finde diese Idee inspirierend!

Wenn Sie/Ihr darüber weiter nachdenken wollen/wollt, dann können wir uns gerne austauschen – hier in den Kommentaren, per Mail, per Videokonferenz oder auch persönlich.