Klimaschutz bringt nichts. Dieser Eindruck drängt sich auf, auch wenn sich noch so viele Menschen, Unternehmen und Institutionen damit brüsten. Gerne werden kleine Schritte zu großen Heldentaten aufgebauscht und gefeiert, ganz nach dem Motto: „Hauptsache wir tun irgendetwas“. Viele leiden unter einem Gefühl der Ohnmacht. Offenbar glauben nur noch wenige, dass das Ruder rechtzeitig herumgerissen werden kann.

Doch was ist wirklich möglich? Wer hat eigentlich die Macht und den Willen, Klimaschutz umzusetzen, und welche gesellschaftlichen Mechanismen spielen dabei eine Rolle?

Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie Klimaschutz tatsächlich gut gelingen kann – je praktischer und ermutigender, desto besser!

Deswegen haben wir eine Umfrage unter professionellen Klimaschützer*innen durchgeführt. Wir wollten herausfinden, wie potenzielle Wirkungsmacht und der Umsetzungswille unterschiedlicher Klimaschutzakteure eingeschätzt werden. Ebenfalls wollten wir erfahren, an welche gesellschaftlichen Mechanismen (Narrative) geglaubt wird, wie Klimaschutz angepackt werden kann.

In diesem Blogartikel finden Sie unsere ausführlichen Ergebnisse.


Warum haben wir die Umfrage gemacht?

Die Idee für die Umfrage kam mir in einer Diskussion über einen Projektantrag. Damals waren die Konturen eines Projektes bereits erkennbar. Als es aber um die Zielgruppen ging, wollte man diejenigen ansprechen, die man bereits kennt und einfach erreichen kann. Ich aber wollte an diejenigen herankommen, die am meisten für den Klimaschutz bewegen können. Wer aber genau ist das?

Rasch wurden in selbiger Diskussion Bedenken vorgetragen, weshalb man manche Zielgruppen nicht erreichen könne, eine Zusammenarbeit oder eine Einflussnahme unwahrscheinlich sei. Die Wirksamkeit einzelner Akteure zu hinterfragen, wurde als unpragmatisch abgetan. Man hielt lieber an seinen ausgetretenen Pfaden fest.

Professionelle Klimaschützer*innen haben – mindestens im stillen Kämmerchen – selbst eine Idee davon, an welche Klimaschutzstrategien sie glauben und welche Akteure wirkmächtig agieren. Durch einen aktiven Austausch über wirksame Strategien, wie Klimaschutz gut durchgesetzt und praktisch gelebt werden kann, wird unserer Ansicht nach die Klimaschutzbewegung stärker.


Wer kann und will unser Klima am besten schützen?

Politik und Großkonzerne – Größte Stellschrauben

Auffällig sind die Gemeinsamkeiten von Politik und Großkonzernen. Sie können als größte Stellschrauben für den Klimaschutz angesehen werden. Europa-, Bundes, und Landespolitik sowie Energieunternehmen und die energieintensive Wirtschaft haben gemein, dass ihnen eine hohe Wirkungsmacht zugestanden wird, aber nur ein geringer Umsetzungswille. So attestiert ein Höchstanteil von 76 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen der Bundespolitik eine hohe Wirkungsmacht im Klimaschutz, aber zeitgleich nur drei Prozent einen hohen Umsetzungswillen – der niedrigste Wert in der Umfrage. Den Umsetzungswillen kann man auch als Ergebnis dominierender Interessen verstehen, die analysiert und nachvollzogen werden können.

Wer treibt den Klimaschutz aktuell voran?

Anders sieht es bei Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und Energiegenossenschaften aus. Sie kombinieren hohe Werte in den Bereichen Wirkungsmacht und Umsetzungswille.

Offenbar sehen Klimaschützer*innen in den Vorreitern der Energiewende, wie Erneuerbare-Energie-Unternehmen und Energiegenossenschaften, immer noch diejenigen, die aktuell den Klimaschutz vorantreiben. Hier gilt es, ihnen den Rücken zu stärken und Initiativen, wie Bürgerwindparks, wieder leichter zu ermöglichen.

Fridays for Future – Die wirkmächtigste Bewegung im Klimaschutz

Die größte Wirkungsmacht unter NGOs und Aktivist*innen wird der Fridays-for-Future-Bewegung zugesprochen. Fast 90 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen attestieren ihr einen hohen Umsetzungswillen – der höchste Wert in dieser Kategorie. Im Vergleich zu anderen Umweltgruppen traut man der Bewegung mit über 57 Prozent gleichzeitig die größte Wirkungsmacht zu. Auch anderen NGOs und Aktivist*innen wird laut der Umfrage ein hoher Umsetzungswillen zugesprochen, aber eine wesentlich geringere Wirkungsmacht.

Die vergangenen Jahrzehnte haben aufgezeigt, dass Dialoge, Appelle und gutes Zureden nicht ausreichen. Offenbar muss auch der öffentliche Druck erhöht werden, damit sich Politik und Großkonzerne intensiver um den Klimaschutz kümmern. Einer der wichtigsten Akteure hierbei ist Fridays for Future, wie unsere Ergebnisse zeigen. Protestformen, die gerne von Medien aufgegriffen werden, helfen beim Aufbau des notwendigen Drucks.

Mir ist dabei wichtig, dass die Signale glasklar vorgetragen werden und den Angesprochenen dabei gewaltfrei und respektvoll entgegen getreten wird, ohne in der Sache nachgiebig zu werden. Wenn wir Feindbilder aufbauen und damit die Gesellschaft spalten, steigern wir nur den Widerstand gegen notwendige Änderungen oder erhöhen das Risiko eines mittelfristigen Bumerangeffekts, der eine Rückabwicklung etwaiger Klimaschutzerfolge bewirkt. Menschen, die wir wirklich für die Sache gewinnen, bleiben auch dabei.

Gesellschaftliche Mechanismen

Tiefgreifende Veränderungen sind notwendig und möglich

Hier haben wir sehr deutliche Botschaften: Eine deutliche Mehrheit der Befragten sagt, dass wir grundlegende Veränderungen brauchen. 100 Prozent (!) der Befragten sind außerdem der Meinung, dass wir die von Menschen geschaffenen Systeme ändern können.

Wer trägt die Verantwortung für den Klimaschutz?

Die Klimaschutzakteure sind sich bei dieser Frage einig: Über 96 Prozent sind der Meinung, dass die Industrieländer mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Nur gut drei Prozent sehen das neutral. Keiner stimmt dieser Aussage nicht zu.

Top-10 der gesellschaftlichen Mechanismen

Die folgenden Top-10 zeigen, welche Aussagen über gesellschaftliche Mechanismen mehrheitlich bejaht worden sind. Der Prozentwert ist der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmen.

1

Systeme sind von Menschen geschaffen und können verändert werden.

100,00%

2

Die reichen Industrieländer müssen vorbildhaft vorangehen.

96,55%

3

Vorherrschende Zustände sind nicht wünschenswert und müssen überwunden werden.

79,31%

4

Wir müssen in eine völlig neue Wirtschaftsform transformieren.

77,59%

5

Ein natürlicher Weg ist Lernen am Beispiel (Best practices verbreiten).

77,59%

6

Politik muss das Problem durch internationale Absprachen und Gesetze lösen.

67,24%

7

Demonstrationen verändern die Welt.

67,24%

8

Entwicklungssprünge müssen gemacht werden (leapfrogging).

63,79%

9

Nur eine große Krise führt zu deutlichen Veränderungen der Systeme.

62,07%

10

Menschen und Institutionen lernen, wenn sie ihre Grenzen erkennen.

55,17%

 

Diese gesellschaftlichen Mechanismen sind Narrative. Sie basieren auf den Narrativen der Studie „Erzähllinien für Nachhaltigkeit und Transformation“, deren Analyserahmen Prof. Dr. Georg Müller-Christ, von der Universität Bremen entwickelt hat und zu der wir einen kleinen Beitrag geleistet haben. Für die Klimaschutzumfrage haben wir Formulierungen vereinfacht.

Mehr als 77 Prozent der Befragten sehen den Bedarf, dass wir unsere Wirtschaftsform transformieren müssen. Diese Thematik muss weiter mit konkreten Ideen unterfüttert werden. Ich glaube, dass es dabei nicht nur um die Wirtschaft geht, sondern um die gesamte Kultur, wie wir miteinander und mit der Umwelt umgehen und in Beziehung treten.


Methodik

Durchgeführt wurde die Umfrage zwischen Juli und September 2020 unter professionellen Klimaschützer*innen. Einige Fragen konnten als Freitext beantwortet werden, bei anderen sollte eine Einschätzung oder Zustimmung anhand vorgegebener Kategorien erfolgen. Von den 102 Antworten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen/Städte, NGOs und Freier Aktivismus waren 59 so weit ausgefüllt, dass sie ausgewertet werden konnten. Die Datenbasis ist nicht groß genug, um unsere Ergebnisse als repräsentativ auffassen zu können. Sie bieten jedoch eine gute erste Einschätzung.

Unter professionellen Klimaschützer*innen haben wir verstanden, dass sich die Personen hauptberuflich oder intensiv ehrenamtlich für den Klimaschutz bzw. Lösungen, wie z.B. erneuerbare Energien einsetzen. Nicht gemeint waren Menschen, die sich beispielsweise ganz allgemein für Nachhaltigkeit engagieren.


Danke

Unsere Umfrage hat Ingo Geestmann strukturiert und ausgewertet. Vorab beim Studiendesign unterstützte uns die im Bereich der Nachhaltigkeit tätige Sozialwissenschaftlerin Amanda Groschke. Ebenfalls bedanken wir uns herzlich bei allen Teilnehmer*innen, die ihre Einschätzungen mit uns und Ihnen geteilt haben.