Es ist simpel: Neue Kohlekraftwerke bedeuten weniger erneuerbare Energien und mehr klimarelevante Abgase, da diese über die gesamte Laufzeit immense Emissionen aus der Kohle freisetzen. Dennoch werden neue Kohlekraftwerke genehmigt und gebaut. Während man verzerrt über Preise diskutiert, wird der Klimaschutz von manchen still durch das schaffen von Fakten ad absurdum geführt. Bereits im Jahr 2009 hatten über 60 Wirtschaftwissenschaftler vor den wirtschaftlichen und klimatischen Risiken durch neue Kohlekraftwerke gewarnt. Swantje Küchler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat mir freundlicher Weise erlaubt diese Erklärung hier zu verbreiten:
Wirtschaftswissenschaftler/innen-Erklärung zum Neubau von Kohlekraftwerken in Deutschland
Die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels ist eine der größten Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten. So hat der Rat der Europäischen Union das Ziel einer Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur um 2°C gegenüber vorindustriellem Niveau mehrfach bekräftigt. Nach den Erkenntnissen des 4. Sachverständigenberichts des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist dieses Ziel nur zu erreichen, wenn die Industrieländer die von ihnen verursachten Treibhausgasemissionen im Vergleich zu den Werten von 1990 bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 % reduzieren. Explizites Ziel der Bundesregierung ist bislang zunächst eine Minderung von 40 % für das Jahr 2020 Eine grundlegende Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele ist der Übergang zu einer Stromerzeugung, die Treibhausgasemissionen weitestgehend vermeidet. Dies kann insbesondere durch Stromeinsparung, den Ausbau Erneuerbarer Energien, die Nutzung von Atomenergie oder mit CCS (Carbon Capture and Storage) ausgerüsteten Kohlekraftwerken geschehen. Während Atomenergie und CCS umstritten sind, gibt es einen breiten Konsens, dass Strom eingespart und Erneuerbare Energien deutlich ausgebaut werden müssen. Im Jahr 2008 hatten die Erneuerbaren Energien bereits einen Anteil von 15,1% am gesamten Stromverbrauch in Deutschland. Laut Bundesregierung soll dieser bis zum Jahr 2020 mindestens 30% betragen, also verdoppelt werden. Verschiedene Potenzialanalysen zeigen, dass der deutsche Strombedarf bis 2020 über 40% und im Jahr 2050 nahezu vollständig durch Erneuerbare Energien gedeckt werden kann[2]. Dennoch ist derzeit der Neubau von 29 konventionellen Stein- und Braunkohlekraftwerken in Deutschland geplant, von denen nur 8 Projekte explizit als Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) vorgesehen sind[3]. Aufgrund der langen Regelbetriebsdauer kapitalintensiver Kohlekraftwerke von über 40 Jahren werden die heutigen Investitionsentscheidungen den Energiemix der Zukunft über viele Jahrzehnte strukturell festlegen – ein Erreichen der wissenschaftlich für notwendig angesehenen Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2050 ist dann in Gefahr. Werden heute in großem Umfang neue Kohlekraftwerke gebaut, steht zu befürchten, dass Klimaschutzziele aufgeweicht werden und die notwendigen Caps bis 2050 politisch nicht durchgesetzt werden können, da heute gebaute Kraftwerke sonst zu Investitionsruinen werden würden. Eine derzeit viel diskutierte Möglichkeit, die CO2-Bilanz der Braun- und Steinkohle zu verbessern und die Kosten für den Kauf von CO2-Zertifikaten größtenteils einzusparen, besteht in der Abscheidung und Speicherung von bei der Verbrennung produziertem CO2 („Carbon Capture and Storage“, CCS). Doch derzeit ist auch mittelfristig noch völlig offen, ob CCS technisch realisierbar, ökologisch vertretbar und wirtschaftlich zu betreiben ist. Zumindest bis dies gesichert ist, sollte daher auf einen Neubau von Kohlekraftwerken über die zehn derzeit im Bau befindlichen Anlagen hinaus verzichtet werden. Ein Neubau fossiler Kraftwerke ist darüber hinaus mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien nur schwer zu vereinbaren. Vor allem die wachsende Menge von Stromerzeugung durch Windkraft erfordert eine Flexibilisierung des übrigen Kraftwerkparks, der sich an die schwankende Einspeisung erneuerbaren Stroms anpassen muss. Dies ist bei Atom- und Kohlekraftwerken aus Sicherheits- bzw. Wirtschaftlichkeitsgründen nur in sehr begrenztem Umfang möglich. In Ergänzung zu Erneuerbaren Energien bieten sich daher vor allem flexible Gas- und Dampfkraftwerke an. Auch steht die kommerzielle Nutzung der CCS-Technologie in direkter Konkurrenz zum Ausbau Erneuerbarer Energien. Für CCS beanspruchte unterirdischen Speicherkapazitäten gehen für Geothermieprojekte, Druckluft- und Gasspeicher oder für Wärme- und Kältespeicherung verloren. Öffentliche Subventionen für die Erforschung und Umsetzung von CCS dürfen die Weiterentwicklung alternativer Klimaschutztechnologien nicht ersetzen oder verzögern. Nimmt man die Klimaziele und die sich daraus ergebenden Anpassungszwänge ernst, so ergeben sich auch erhebliche Zweifel an der zukünftigen Rentabilität neuer Kohlekraftwerke. Dies wird nicht zuletzt verdeutlicht durch den Rückzug von Banken aus der Finanzierung neuer Kohlekraftwerke (siehe Standort Mainz[4]) oder die steigende Zahl von Projekten, die aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben werden. Auf Basis heute verfügbarer Informationen werden folgende Rahmenbedingungen und strukturellen Zusammenhänge die Energieerzeugung mittels Kohlekraft in Zukunft – insbesondere für einen Zeithorizont über 2020 hinaus bis 2050 – im Verhältnis zu Erneuerbaren Energien und Maßnahmen zur Stromeinsparung verteuern bzw. unrentabel gestalten[5]: [1] Dies steht unter der Voraussetzung, dass sich die EU zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 30% verpflichtet, was wiederum davon abhängt, ob sich international andere Staaten entsprechende Minderungspflichten auferlegen. [2] z.B. Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (2009): „Stromversorgung 2020 – Wege in eine moderne Energiewirtschaft. Ausbauprognose der Erneuerbare-Energien-Branche für den Stromsektor“; Nitsch, J. (2008): „Weiterentwicklung der Ausbaustrategie Erneuerbare Energien – Leitstudie 2008“. [3] Eine Liste der geplanten / im Bau befindlichen Anlagen ist verfügbar unter http://www.bund.net/bundnet/themen_und_projekte/klima_energie/kohlekraftwerke_stoppen/geplante_standorte/. [4] vgl. FR-Online vom 18.08.09: „Kohlekraftwerke ohne Kredit“. [5] Davon ausgenommen sind unter Umständen moderne Heizkraftwerke mit KWK-Technik, deren Wirtschaftlichkeit durch Wärmeerlöse und den KWK-Bonus in Einzelfällen auch in Zukunft gesichert werden kann. [6] Nitsch 2008, S. 120 (vgl. Fußnote 2). [7] u.a. das gesundheitliche Risiko durch Leckagen oder Auswirkungen auf das Grundwasser durch die Verdrängung stark salzhaltigen Wassers aus salinen Aquiferen, vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) 2009: . „Abscheidung, Transport und Speicherung von Kohlendioxid – der Gesetzesentwurf der Bundesregierung im Kontext der Energiedebatte“. [8] Matthes, F. und H.-J. Ziesing (2008): “Entwicklung des deutschen Kraftwerksparks und die Deckung des Strombedarfs – Kurzexpertise für den Rat für Nachhaltige Entwicklung“.
Wir fordern daher
Hinterlasse einen Kommentar