Die Geschichte begann bei einem Flurgespräch. Eine Auftraggeberin erzählte mir von einer Diskussion mit einem weiteren Berufsklimaschützer. Sie meinte man könne viel mehr Solardächer gebrauchen und solle sich dafür einsetzen. Er aber warnte vor der „Entsolidarisierung“, die man so anheizen würde. Das Flurgespräch gab mir zu denken. Wer kann einen Klimaschützer vom Gegenteil seines Arbeitszieles überzeugen?
Entsolidarisierung? PR-Produkt!
Da hüpft er wieder – ein Floh aus einer PR-Küche. Still setzt er sich in das Ohr des vermeintlichen Klimaschutz-Mitarbeiters. Meine Hypothese: Die „Entsolidarisierung“ wurde erfunden, um die beliebte Eigenstromversogung mit Photovoltaik auszubremsen.
Für mich ist es ein Beispiel dafür wie PR wirkt und seinen „spin“ entfesselt. Verzerrend, verdrehende Argumentationsketten werden aufgeschnappt und leichtfertig nachgeplappert. Um solcher PR nicht auf den Leim zu gehen muss man sich Zeit zum Denken und Reflektieren nehmen. Wir alle geraten leicht in die „Nachplapperfalle“. Niemand kann alle Aspekte des Klimaschutzes bis in die letzten Details durchdringen. Das Thema ist dafür zu komplex.
Die Formulierung ist gut gemacht. Wer sich als Gegner einer „Entsolidarisierung“ darstellt, der erweckt es den Anschein eines sozialen Gedankens. Wer will schon eine gegenseitige Hilfe und das Eintreten füreinander auf das Spiel setzen. In diesem Fall bleibt die Frage offen, wer eigentlich wem gegenüber solidarisch sein sollte.
Was soll die „Entsolidarisierung“ kritisieren?
In meiner Recherche habe ich ein Interview mit dem Bayernwerk-Vorstandsvorsitzender Reimund Gotzel entdeckt. Die Bayernwerke sind der Nachfolger von E.ON Bayern. Gotzel benennt den Vorwurf präzise:
Wer leistet eigentlich seinen Beitrag über Netzentgelte zum Gelingen der Energiewende und zum Ausbau der Verteilnetze? Kann es richtig sein, dass immer mehr Eigenerzeuger ans Netz kommen und gleichzeitig immer weniger Netzentgelte zahlen?
Weniger Netznutzung führt zu Netzausbau? Ich habe kein Auto und soll Straßen zahlen? Hier ist der erste Sinnfehler. Zum Netzausbau führt wenn dann der eingespeiste Solarstrom und nicht der mit der EEG-Umlage belastete Eigenstrom. Laut einer PROGNOS-Studie endet die Unsolidarität mit der Installation eines Batteriespeichers. Eigenverbrauch aus Solaranlagen mit Batterie würden im Vergleich zu einer Solaranlage ohne Speicher die Netze entlasten.
Es stimmt, dass durch den solaren Eigenstrom weniger Menschen in gewisse Töpfe wie die Netzentgelte einzahlen. Netzbetreiber können also in der Summe weniger Netzentgelte erhalten – der aufzuteilende Kuchen wird kleiner. Der Strompreis setzt sich aus einigen weiteren Abgaben in verschiedene Töpfe zusammen. In diese Töpfe fließt ebenfalls weniger Geld.
Eigenstrom führt zu:
- Weniger Stromsteuereinnahmen
- Weniger Mehrwertssteuereinnahmen
- Weniger Einzahlungen in die EEG-Umlage
- Weniger Konzessionsabgaben an Netzbetreiber
- Weniger Einnahmen aus dem Stromverkauf und damit eine Marktverkleinerung
Eigenstrom führt auch dazu, dass man seine Stromerzeugung selbst in der Hand hat und unabhängiger wird.
Wer hat die „Entsolidarisierung“ erfunden?
Frisch erfundene Argumentationsketten hört man nach und nach immer öfter und aus unterschiedlichen Ecken. In welcher Kreativstube und in wessen Auftrag die „Entsolidarisierung“ erfunden wurde ist undurchsichtig. Früh davon gesprochen hat der Interessensverband der alten Energiewirtschaft (BDEW). Dessen damalige Chefin, Hildegard Müller, äusserte das Argument im Jahr 2013. Auch der damalige zuständige Minister Peter Altmaier wollte im selben Jahr die zunehmende „Entsolidarisierung“ stoppen. Mit der gleichen Stoßrichtung äußerte sich damals auch der frühere Geschäftsführer der Agora Energiewende, Herr Baake. Mit dieser Auffassung und seinem grünen Parteibuch machte er sich dann auf in das BMWi, wo er derzeit ein mächtiger Staatssekretär ist. 2014 dann sprach auch Sigmar Gabriel von der „Entsolidarisierung“:
„Wenn immer mehr Eigenstrom produzieren, gehen die Stadtwerke kaputt“
Gabriels Solidarität gilt also den Stadtwerken. Auch unterhaltsam ist, dass man von fehlenden Netzentgelten spricht und als Lösung eine EEG-Umlage auf den Eigenstrom aus größeren PV-Anlagen einsammelt. Forderer und Durchsetzer harmonieren prima. Wir sollen also solidarisch mit Netzbetreibern und Energieversorgern sein.
Diese Interessen decken sich nicht automatisch mit Bürgerinteressen. Der Verbraucherschützer Niels-Sönnik Schnoor wurde deutlich:
Die EEG-Umlage ist ja dazu da, den EEG-vergüteten Strom zu bezahlen, den man in Anspruch nimmt – aber das machen Eigenstromverbraucher ja gar nicht. Sie produzieren ihren Strom ja selbst.
In einer solidarischen Energiewende würden alle ihren Beitrag zu einer sauberen Energiezukunft leisten.
Ist es solidarisch wenn die Industrie immer weniger EEG-Umlage bezahlt?
Verbraucher bezahlen wie gesagt mit jeder Kilowattstunde in unterschiedliche Töpfe ein. Dies ist bei der energieintensiven Industrie nicht der Fall. Immer mehr Unternehmen werden ausgenommen. Das dadurch fehlende Geld wir von allen Bürgern sowie kleinen und mittleren Unternehmen bezahlt – sofern diese noch keine Ausnahmen geltend machen können. Die energieintensive Industrie darf enorm unsolidarisch agieren, so ein Bericht aus dem Magazin energiezukunft:
2.100 Unternehmen profitieren 2016 von der „Besonderen Ausgleichsregelung“, allein 717 aus der energieintensiven Industrie wurden damit 2015 um 3,4 Milliarden Euro entlastet.
Während ein Teil der Industrie entlastet wird, werden wirtschaftliche Alternativen zum schmutzigen Graustrom belastet. Gerade große PV-Anlagen auf Industriedächern könnten kleine und mittelständische Unternehmen ökonomisch gut tun.
Solarstrom ist durch seine Klimaschutzwirkung solidarisch
Wer meine Artikel liest, der weiß das ich die Dinge aus der Perspektive der Nachhaltigkeit betrachte. Alle die Klima schützen sind global solidarisch, weil Klimaschutz der gesamten Weltgemeinschaft über Generationen dienen kann. Es müsste nur das Momentum groß genug werden. In diesem Sinne ist ein Ausschließen von Klimaschutz-Chancen durch die EEG-Umlage unsolidarisch. Dagegen müssen wir zusammenhalten.
Super Artikel, vielen Dank!
Um die Energiewende zu meistern, müssen wir unbedingt auf allen Häusern PV installieren. Nicht nur auf Gewerbeflächen. Auch nicht nur auf Einfamilienhäusern – alle Gebäude brauchen eine PV-Anlage. Ebenfalls wichtig sind Wärmepumpen, E-Autos, Sanierungen von Häusern usw. Eine Entsolidarisierung finde ich vor diesem Hintergrund aktuell noch nicht angebracht.
Tipp: Bei jedem Strom- und Gas-Tarif darauf achten, dass die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, vorzugsweise aus DE, und dass ein Teil der Einnahmen in den Ausbau eneuerbarer Energien investiert wird.
Hilfreich, um gute Anbieter zu finden: Trustpilot, Provenexpert oder diese Seite: https://www.energie-solar-erfahrungen.de/anbieter