Industrie oder Energiewende? Diese Frage schürt die Angst vor dem Verlust des Wohlstandes. Mit ihr wird als Begründung die internationale Wettbewerbsfähigkeit genannt, die von Energiepreisen abhängen soll. Manch einer schwadroniert dabei von einer Deindustrialisierung. Stimmt das eigentlich? Hinterfragt werden derartige Aussagen selten, wobei diese ungleich häufiger eine hohe Sichtbarkeit in Flimmerkisten und Zeitungen genießen. Wo finden wir gute Quellen, um in diesem Diskussionsstrang der Energiewende bestehen zu können?

In einem Blogartikel von Björn-Lars Kuhn bin ich fündig geworden. Er schrieb zu einer neuen Studie von Claudia Kemfert und Johannes Trunzer zum Thema: Energiestückkosten und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Die Autoren vergleichen die Energiestückkosten nach Ländern und Sektoren. Eine weitere gute Quelle ist das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Folgende Diskussionshilfen möchte ich Ihnen mit an die Hand geben:

1. Der Begriff „Industrie“ muss differenziert werden

Es ist einfach: Man kann beispielsweise ein 20-köpfiges Familienunternehmen nicht mit der großen BASF im Chemiesektor gleichsetzen. Ein Stahlwerk unterscheidet sich von einer Bäckerei, auch wenn beide Öfen haben. Wer pauschal von „der Industrie“ spricht, der sollte Redner am Stammtisch bleiben und wer sich um Abwanderung sorgt, der sollte die individuelle Sachlage sorgfältig prüfen.

2. Energiestückkosten sind repräsentativer als Energiepreise

Energiestückkosten werden aus Energiepreisen, dem Energiebedarf, den sektoralen Preisindex und der reale Bruttewertschöpfung errechnet. Nur so findet die Energieeffizienz in der Betrachtung angemessenen Platz. Kemfert und Trunzer schreiben:

Zweifelsohne liegen die deutschen Energiepreise über dem internationalen Durchschnitt. Um deshalb jedoch von einem Standortnachteil für die deutsche Industrie zu sprechen, scheint unangebracht. Schließlich kennzeichnet die Produktion in Deutschland ein besonders energieeffizienter Einsatz von Energie aus, sodass die Energiestückkosten im internationalen Vergleich als moderat bis unterdurchschnittlich angesehen werden können.

3. Energiepreise steigern die Energieeffizienz

Über die Auswertung von Statistiken kommen die Beiden zu dem Ergebnis, dass durch höhere Energiepreise die Effizienz steigt. So klingt das Ganze in wissenschaftlicher Schreibe:

Die Empirie deutet ferner darauf hin, dass Energiepreisanstiege eine Reduktion der Energieintensität in nicht zu vernachlässigender, signifikanter Höhe induzieren. Der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten variiert von Sektor zu Sektor und selbst innerhalb der Sektoren beträchtlich und damit variieren auch die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit.

4. Nur in der energieintensiven Industrie sind Energiestückkosten wettbewerbsrelevant

Trunzer und Kemfert bestätigen, dass in der wirklich energieintensiven Industrie die Energiepreise wirklich eine große Rolle spielen.

Während in der energieintensiven Produktion durchaus grundsätzlich von einer steigenden Belastung durch steigende Energiepreise gesprochen werden kann, spielen die Energiekosten in der weniger energieintensiven Produktion nur eine untergeordnete Rolle.

Dafür gibt es kostensenkende Ausnahmen, die allerdings übergroße Ausmaße angenommen haben, so dass Trittin bereits überspitzt von Ausnahmen für Frittenbuden und Golfplätze gesprochen hatte.

5. Europäische Energiepreisstatistik täuscht

Wer sich die auf die Energiepreisstatistik des statistischen Amtes der Europäischen Union (eurostat) verlässt, der segelt an der Realität vorbei. Dort scheint man nicht mit der deutschen Rechtslage vertraut zu sein. Die dort erfassten Preise sind unpräzise vereinfacht. Wie die Ökonomen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) herausgefunden haben, fehlen dort die vielen verbilligenden Schlupflöcher. Es gibt undurchsichtigen Rabatte bei der EEG-Umlage, der KWK-Umlage, den Netzentgelten und der Stromsteuer. Die Hälfte der industriellen Stromverbraucher ist laut dem BDEW bei der EEG-Umlage begünstigt oder befreit. Ein Übermaß an Schlupflöchern, wie die in der EEG-Umlage, zahlen Verbraucher.

6. Wettbewerbsfähigkeit kann nur mit allen Standortfakten seriös bewertet werden

Die Ökonomen Kemfert und Trunzer halten fest, dass man in einer seriösen Energiekostendebatte alle Standortfakten berücksichtigen muss:

Die Energiekostendebatte sollte darüber hinaus im Kontext aller Standortfaktoren geführt werden, und nicht davon losgelöst und für die gesamte Industrie pauschalisierend. Drohungen mit Abwanderung erscheinen in diesem Licht deshalb eher wie viel Lärm um nichts; und eine Betonung und Förderung der charakteristischen Stärken des Standorts Deutschland mit seiner hohen Innovationskraft und Produktion hochspezialisierter, hochwertiger Güter daher sinnvoller als eine Diskussion über mögliche Nachteile durch hohe Energiekosten für die deutsche Industrie.

7. Alle Energie muss gewendet werden – auch in der Industrie

Wie der Artikel andeutet sind die industriellen Sektoren sehr wichtig, um 100 % erneuerbare Energien und damit den Klimaschutz zu verwirklichen. Nur ein falscher Fokus übersieht diese 28 % des deutschen Primärenergieverbrauchs in der Industrie und weitere 15 % in weiteren gewerblichen Sektoren. Eine Diskussion, die den Verkehr, die Wärme und die Industrie ausklammert wird dem Thema nicht gerecht. Gerade die Industrie kann einen strategischen Vorteil durch Energie-Unabhängigkeit erlangen. Unabhängig von Ressourcenkonflikten und geopolitischen Verwerfungen kann die Planungsunsicherheit minimiert werden.