Gastbeitrag von Daniel Schauer

Mindestens seit der Energiewende werden neue Versorgungskonzepte heftig und zuweilen kontrovers diskutiert. Allen Beteiligten ist klar, dass es nicht reicht mit purem Idealismus ans Werk zu gehen, will man veraltete Strukturen aufbrechen. Eines der vielversprechenden Versorgungskonzepte ist das „Virtuelle Kraftwerk“. Der Name stieß in den Forschungs- und Entwicklungstagen des Konzepts übrigens nicht nur auf reine Zustimmung. Vielen klang er zu sehr nach genau den veralten Strukturen fossiler Großkraftwerke, von denen man sich verabschieden wollte.

Was genau ist ein virtuelles Kraftwerk und was muss es können?

Virtuelle Kraftwerke funktionieren als Verbund aus verschiedenen dezentralen Stromerzeugungseinheiten wie Wind-, Solar- und Biogasanlagen oder auch Blockheizkraftwerken, die an unterschiedlichen Standorten ins Netz einspeisen. Nach außen funktionieren die Anlagen wie eine Einheit. Der Betrieb wird zentral geplant, optimiert und überwacht. Je nach aktueller Nachfrage an den Strombörsen oder anderen Märkten stellt der Verbund elektrische Leistung bereit. Ein virtuelles Kraftwerk nutzt dabei die Synergien, die aus dem Zusammenschluss entstehen: Bei Spitzenlasten werden weitere Erzeuger zugeschaltet und die Leistungsschwankungen/Peaks der Stromerzeugung geglättet.

Joachim Albersmann, Senior Manager bei PricewaterhouseCoopers, der die Studie „Virtuelle Kraftwerke als wirkungsvolles Instrument für die Energiewende“ verfasst hat, geht in einem Interview im Capital vom 10. August davon aus, dass „von den 900 kleinen und großen Energieversorgern in Deutschland etwa acht bis zwölf Prozent ein virtuelles Kraftwerk betreiben, Tendenz steigend.“

Damit das funktioniert sind eine Reihe verschiedener Hard- und Softwarebausteine nötig. Auf der Hardwareseite sind das der eigentliche dezentrale Anlagenverbund, Energiespeichersysteme, ein Power Quality System, das Leittechniksystem und der Lastverbund. Das Energiemanagement ermittelt softwaregesteuert über spezielle Algorithmen die Prognosen, mit deren Hilfe der Betrieb optimiert wird. Dazu kommen die eigentlichen Kommunikationssysteme. Sie sind ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor und wie bei allen IT-basierten Systemen geht es nicht ohne grundlegende IT-Sicherheitsmaßnahmen.

Das Rückgrat eines virtuellen Kraftwerks: Daten bündeln und analysieren

In der Zentrale eines virtuellen Kraftwerks fließt eine Fülle von Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammen. Das sind zum einen die Daten aus den einzelnen Energieerzeugungs-anlagen bezüglich der Ist-Situation im Netz. Dazu kommen umfangreiche Geo-Daten aus den Wettervorhersagen. Diese Daten müssen untereinander koordiniert und ausgewertet werden.

Damit virtuelle Kraftwerke ihre Aufgabe erfüllen, müssen sie flexibel auf die sich verändernden Marktbedingungen reagieren. Das geht nur mit einer smarten Datenkommunikation zwischen der Zentrale des virtuellen Kraftwerks und den einzelnen Erzeugungsanlagen. Es ist heute schon möglich, mit Hilfe spezieller Algorithmen eine sehr gute Prognosequalität zu erreichen und die Wind- und Solarleistung vergleichsweise zuverlässig vorauszusagen. Die zentrale Steuerungseinheit eines virtuellen Kraftwerks übernimmt auf dieser Grundlage die Einsatzplanung und adressiert die einzelnen Erzeuger.

Naturgemäß treten immer wieder nicht kalkulierbare Abweichungen auf. Dann wird die Regelleistung der einzelnen Erzeugungsanlagen über die Leitwarte angepasst, die Anpassung übermittelt und vor Ort umgesetzt. Je leistungsfähiger die Datenverbindung, desto schneller geht das. Wie häufig solche Anpassungen vorkommen hängt vom Wetter ab. Stürmt es, scheint gleichzeitig die Sonne und ist die Abnahme dazu noch gering, sinkt der Börsenpreis. Dann sollten die Erzeugungsanlagen reduzieren, um den Preis stabil zu halten.

Dezentrale Energieregler

Wer sich mit der Projektierung und Betreuung großer Energieerzeugungsanlagen befasst, der weiß, dass die Anlagenbetreiber mit unterschiedlichen Herausforderungen kämpfen. Die Wünsche variieren von Planer zu Planer und von Betreiber zu Betreiber.

Um dezentrale Erzeugungsanlagen zu steuern, werden sogenannte EZA-Regler eingesetzt. Sie regeln die Wirk- und Blindleistung auf dem zugewiesenen Netzverknüpfungspunkt. EZA-Regler bilden die Schnittstellen zum Netzbetreiber und zum jeweiligen Direktvermarkter. Direktvermarkter haben zum Teil bereits eigene virtuelle Kraftwerke aufgebaut und steuern dann das Portfolio unter anderem über solche EZA-Regler. Das vermeidet ein Aufschwingen unterschiedlicher Regler und damit unerwünschte Spannungsschwankungen. Dies kann passieren, wenn mehrere Regler auf einen Netzknoten regeln und betrifft besonders die Regelung der Blindleistung. Inzwischen gibt es dezentrale Regler, die sowohl die Wirk- als auch die Blindleistung der angeschlossenen Energieerzeuger steuern.

Anschlussfähig: Fit für das virtuelle Kraftwerk

Jede der erneuerbaren Energien hat bestimmte Stärken und Schwächen. Deshalb ist es besonders vielversprechend, wenn man gut steuerbare Energieträger mit solchen verknüpft, die wie Wind und Sonne nicht beeinflussbar sind. Ein dezentrales Einspeisemanagement fungiert dann als Schnittstelle zum virtuellen Kraftwerk. Mischparkregler unterstützen den einzelnen Anlagenbetreiber und machen ihn weniger abhängig von einem Direktvermarkter. Das ist möglich, weil mehrere Direktvermarkter an einem Netzverknüpfungspunkt „anschließbar“ sind und die einzelnen Erzeugungseinheiten nach dem „Last in First out“-Prinzip funktionieren. Innerhalb eines großen Windparks mit beispielsweise fünfzehn Anlagen und drei Gesellschaften, die jeweils fünf Anlagen betreiben, kann jede Gesellschaft für sich einen eigenen Direktvermarkter beauftragen.

Fazit

Das Modell „Kombikraftwerk“, ein anderer Name für das virtuelle Kraftwerk, wird schon vielfach praktiziert. Virtuelle Kraftwerke haben zudem das Potenzial, Regelleistung bereitzustellen. Das ist inzwischen technisch möglich, wenn auch noch nicht alle politischen Voraussetzungen geschaffen sind.

Das Thema zentral gesteuerter virtueller Kraftwerke und dezentral geregelter Erzeugungsanlagen wird in Zukunft nicht nur die Anlagenbetreiber selbst interessieren, sondern auch Projektinitiatoren und -planer, Bürgerwindparks sowie andere Verbünde beispielsweise die Wohnungswirtschaft. Laut PwC beschäftigen sich derzeit besonders viele mit dem Thema „Virtuelles Kraftwerk“, nicht nur die Energiebranche.

In das Thema Standards ist ebenfalls Bewegung gekommen. VHPready (Virtual Heat and Power ready) ist der Standard für die Vernetzung dezentraler Energieanlagen zu Virtuellen Kraftwerken. Im Frühjahr dieses Jahres wurde die VHPready Services GmbH als operativer Arm des Industrieforum VHPready e.V. gegründet. Das Unternehmen versteht sich nach eigenen Aussagen als Berater rund um den VHPready-Standard und will vor allem eine Zertifizierung entwickeln. Akkreditierte Prüflabore sollen sie durchführen. Entsprechende Test- und Referenzsystem dafür müssen allerdings erst noch entwickelt werden.