Seit August gilt in Deutschland ein anderes Erneuerbare-Energien-Gesetz. Offensichtlich sind im Klimaschutz bittere Rückschritte gemacht worden. Der Markt der Erneuerbaren ist verunsichert – noch sind weder ein Ende der Pleitewelle noch der Jobverluste in der Zukunftsbranche absehbar. Den umsetzenden Unternehmen wurde eindeutig Planungssicherheit genommen. Es sei angeblich der richtige Weg, um ökonomisch sinnvoll zu handeln.

Die Perspektive der Unternehmen ist durch viele Details erschwert. Noch immer habe ich einen Vorstand von Stadtwerken im Ohr, der als größten Unsicherheitsfaktor die Politik genannt hatte. Die Häufigkeit und die geringe Halbwertszeit der Reformen erschwert Planungen. Die wirtschaftliche Abschätzung wird durch die Unklarheit über das Erreichen des atmenden Deckels und die angedachten Ausschreibungen, deren konkrete Ausgestaltung nicht einmal der Staatssekretär Baake kennt, gestört. Auch der Verwaltungsaufwand steigt bereits jetzt durch die verpflichtende Direktvermarktung. Mit dem Wegfall des Eigenstromprivilegs („Sonnensteuer“) entsteht eine wiedersinnige Situation für diejenigen, die Verantwortung im Klimaschutz und in der Minderung von fossilen Energieimporten übernehmen wollen. Diese skizzierte neue Ausgangslage kann nicht aus versehen passiert sein. Um die Hintergründe dieser Energiepolitik besser einzuordnen habe ich Prof. Dr.-Ing. Volker Quaschning um Antworten gebeten.

Welche Absicht kann hinter einer solchen Energiepolitik stecken?

Die Energiewende fand bislang weitgehend ohne die Energiekonzerne statt. Bei RWE lag beispielsweise der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland im Jahr 2012 lediglich bei einem Prozent. Rund 25 Prozent waren es letztes Jahr im Bundesdurchschnitt. Stattdessen sitzen die Konzerne auf einem konventionellen Kraftwerkspark, der sich immer weniger rechnet. Die Korrekturen im EEG sollen nun den Energiekonzernen die Möglichkeit geben, sich den Veränderungen anzupassen und selbst Teil der Energiewende zu werden. Dafür werden sogar das Erreichen der Klimaschutzziele und die Vorreiterrolle Deutschlands bei den erneuerbaren Energien geopfert.

Wie erklären Sie sich die Triebfeder der verantwortlichen politischen Akteure?

In Deutschland haben wir eine enge Verknüpfung der Energiekonzerne mit der Politik. Ein nicht unerheblicher Teil der Aktien der Energiekonzerne befindet sich in kommunaler Hand. Geht es RWE schlecht, leiden auch die Gemeinden in Nordrhein-Westfahlen. Der Politik fehlt der Mut, die Konsequenzen der Energiewende zu thematisieren. Es wird ein erheblicher Strukturwandel stattfinden. Doch statt diesen finanziell zu unterstützen und die Ängste der Betroffenen zu nehmen, wird lieber die Energiewende ausgebremst. Die SPD war schon immer eine Kohlepartei und wird mit der aktuellen Politik nur ihrer Klientel gerecht. Die Zukunft Deutschlands und künftiger Generationen wird da schnell zur Nebensache.

Das verdeckte Ziel scheint eine zweite Chance für die großen Energieversorgungsunternehmen zu sein. Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger?

Die Energiewende wird deutlich langsamer verlaufen. Vermutlich werden wir auch mehr für die Energiewende bezahlen müssen. Wir werden unsere Klimaschutzziele nicht erreichen und andere Ländern werden uns bei der Technologieführerschaft bei den erneuerbaren Energien ablösen. Es steht also viel auf dem Spiel. Leider haben das viele Bürgerinnen und Bürger bislang noch nicht realisiert. Nur so konnten diese Rückschritte umgesetzt werden.

Können zentrale und dezentrale Strukturen in der Energieversorgung koexistieren?

Erneuerbare Energieanlagen sind von ihrer Natur her erst einmal dezentral. Man kann versuchen, sie zu zentralisieren. Dazu werden dann große Leistungen an einem Ort konzentriert, wie es beispielsweise bei Offshore-Windparks der Fall ist. Auch Speicher wie Pumpspeicherkraftwerke oder große Gasspeicher sind eher von zentraler Natur. Daher werden wir künftig immer auch zentrale Elemente in der Energieversorgung sehen.

Nicht nur die Erneuerbare, sondern auch die traditionelle Energiebranche steckt in Schwierigkeiten, wie kann sich Deutschland am Besten als Industriestandort aus der Affäre ziehen?

Klimaschutz und eine echte Energiewende bedeuten einen Strukturwandel. Dabei wird es auch Verlierer geben. Wir werden nicht gleichzeitig einen florierenden Braunkohletagebau und einen anhaltenden Boom bei der Photovoltaik realisieren können. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu einer schnellen Energiewende, einen durchdachten Plan sowie politische und finanzielle Unterstützung für den nötigen Strukturwandel. Wir haben die deutsche Einheit geschafft, dann sollte doch auch die Energiewende zu stemmen sein.

Wie kann eine schnelle Energiewende mit 100 % Erneuerbaren und Energieeffizienz möglichst positiv für den Industriestandort (unabhängig von den EVU) ausgestaltet werden? Oder ist es ein „entweder Klimaschutz oder Industrie“?

Eine schnelle Energiewende wird ganz sicher positive Auswirkungen für den Industriestandort Deutschland haben. Wir werden zu Innovationen gezwungen und bleiben Vorreiter im künftigen Billionenmarkt der erneuerbaren Energien. Schlüsselindustrien können für eine Übergangszeit auch durch subventionierte Energiepreise unterstützt werden, wenn das im breiten Konsens erfolgt. Wir müssen aber auch bereit sein, nicht zukunftsfähige Industriezweige aufzugeben und dabei den Strukturwandel sozial abzufedern.

Kann Klimaschutz auch in einer zentralen Organisationsform gelingen?

In Deutschland zumindest nicht. Wir haben eine existierende zentrale Energieversorgungsstruktur die größtenteils auf klimaschädlichen fossilen Kraftwerken basiert. Wirklicher Klimaschutz bedeutet, diese vorzeitig außer Betrieb zu nehmen. Dabei geht es um sehr viel Geld. Daher wird der Klimaschutz bei einer zentralen Struktur in Deutschland immer auf Widerstand stoßen. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Situation anders. Sie können gleich eine Versorgungsstruktur auf Basis erneuerbarer Energien aufbauen. Diese kann dann dezentral oder auch stärker zentral sein.

Welche Chancen sehen Sie in dem neuen EEG?

Das neue EEG ist der Kniefall der Politik vor den Energiekonzernen. Es verlangsamt die Energiewende und erschwert den Bürgerinnen und Bürgern sich daran zu beteiligen. Jede extreme Bewegung in eine Richtung erzeugt am Ende aber auch wieder eine Gegenreaktion. Es bleibt zu hoffen, dass der Widerstand gegen die jetzige Energiepolitik kontinuierlich zunimmt, sodass am Ende vielleicht sogar wieder eine Beschleunigung der Energiewende möglich wird.

Welche Aufklärungsarbeit wünschen Sie sich vom Netzwerk der Energieblogger?

Momentan ist das Interesse der großen Medien für Klimaschutz oder nachhaltige Energiepolitik eher gering. Zahlreiche Berichte sind schlecht recherchiert oder gar von Unternehmensinteressen beeinflusst. Das Internet bietet neue Möglichkeiten einer unabhängigen Informationsverbreitung. Jeder Artikel und Blog liefert somit einen wichtigen Beitrag, das Thema voranzubringen und den nötigen Druck für Veränderungen zu erzeugen. Ich wünsche dabei den Energiebloggern weiterhin viel Erfolg.

Vielen Dank für das Interview!

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