Bei der Ökostrom-Reform haben ganz unterschiedliche Politprofis das gleiche Pedal gefunden: Die Bremse der Energiewende. Wie kommt es, dass sich die Arbeitsziele des derzeitigen SPD-Chefs, des ehemaligen FDP-Chefs, des „grünen“ Staatssekretärs Baake und auch die des CDU-Ministers Altmaier kaum unterscheiden? Heißt diese Konstante Angela Merkel? Oder ist es vielmehr der Einfluss verwobener Lobbygruppen? Um diese „Sachzwänge“ mitzutragen muss doch etwas auf dem Opferaltar gelandet sein. Es bleibt eine Farce, wenn sich Parteien nur vor der Wahl unterscheiden und danach der gleiche Einheitsbrei produziert wird. Dies ist ein Demokratiedefizit – die „Herrschaft des Volkes“  fehlt in Berlin und in Brüssel zu oft.

„Politische Ämter werden nur auf Zeit verliehen“ stellte unser Bundespräsident Gauck bei Christian Wulffs Abschied fest. Was also bleibt nach dem Griff zur Macht und dem anschließenden Verlust dergleichen? Bleiben Sigmar Gabriel nur Erinnerungen und Wohlstand? Oder rührt sich auch sein Gewissen? Das es keine Garantie für ein Gewissen gibt beweist George W. Bush, wenn er heute über sein Irak-Desaster spricht. Den Goslarer Gabriel möchte ich keinen Falls mit dem ehemaligen texanischen Ölunternehmer vergleichen. Ich glaube, dass tief im amtierenden Wirtschafts- und Energieminister, unter dem augenscheinlichen Fehlverhalten des Politprofis, ein anständiger Typ steckt. Davon hat er seit Amtsantritt kaum etwas gezeigt. Vielmehr brilliert er als Redner und Verkäufer, während er sichtbarer Teil einer inhaltlichen Fehlsteuerung wird. Eigentlich frage ich mich worauf der Mann am Lebensabend stolz sein will – auch wenn dies nach Moralapostel klingt. Vielleicht wird es der gesetzliche Mindestlohn sein, der für sich gesehen etwas tolles werden kann.

Extreme Kehrtwende wie die Klimakanzlerin

Im Grunde haben die beiden das Gleiche getan: Sie haben nach dem Aufbau der erneuerbaren Energien nun die Drosselung desselben Ausbaus mitgetragen. Es wird seit Längerem, also auch von Gabriels Vorgängern, eine reine Destabilisierung der Rahmenbedingungen umgesetzt. Damit werden Investoren einer innovativen  Zukunftsindustrie verunsichert und pauschal „die Industrie“ hofiert. Die Tatsache, dass viele Industrieverbände die Reform begrüßen ist ein guter Beleg dafür, dass es nicht in erster Linie um Bürgerinteressen geht. Selbst wenn ein mittelständischer Industriebetrieb seinen Strom selbst erzeugen wollte, soll dies künftig besteuert werden. Eigentlich wird schlicht ein Kundenschutz fossiler Energieanbieter betrieben, der sich oberhalb des Ausbaukorridors befindet. Ich bin mir sicher, dass die deutsche Industrie auch bei einer zügigen Energiewende gute Bedingungen haben kann. Es würde jedoch die Struktur der großen Vier verkleinern.

„…die Energiewende birgt auch das Risiko einer dramatischen De-Industrialisierung,
wenn wir die Kosten für Wirtschaft und Industrie nicht deutlich verändern“
(30.1.2013
– Energieminister Gabriel heute)

 „…bei stabilen Rahmenbedingungen würde es zu einem Boom der erneuerbaren Energien kommen.“
(Minute 4:20 im Video
– Umweltminister Gabriel damals)

Warum so eine reaktionäre Politik Herr Gabriel?

Ich frage mich immer wieder, was Sigmar Gabriel zu diesem Verhalten bringt. Ist es ein plumper Deal in den Koalitionsverhandlungen gewesen? Gab es gar einen früheren Deal?  Viel mehr als den großen Lobbyvorwurf kann ich da auch nicht bringen – es sind meist diskrete Täter. Das bedenkliche Verflechtungen existieren haben die Energieblogger gezeigt. Manche sagen, dass es ihm um den Schutz seiner SPD-Kernwählerschaft in Nordrhein-Westfalen ginge. Dort sind zu viele Kommunen an RWE beteiligt, womit also kommunale Kassen von dem wirtschaftlichen Erfolg der atomar-fossilen Industrie abhängen. Vielleicht wird Gabriel politisch erpresst: Gelten die vier Großen als „too big to fail“? Ist Gabriels Zukunft von dem Wohlwollen industrieller Gruppierungen abhängig? Wissen Sie da mehr? Natürlich könnte ich auch auf die hervorragende Rhetorik des Sigmar Gabriel vertrauen. Wir haben jedoch die Reformansätze zu intensiv untersucht, um diese Reform für eine gute Idee zu halten. Unter dem Strich unterstelle ich Sigmar Gabriel ein individuelles Machtmotiv. Wenn dies nicht stimmen sollte, dann bitte ich um eine aufrichtige Klarstellung.

Der Strompreis war ein plumper Vorwandt

Das die Strompreisdiskussion zum Wohle des kleinen Mannes und der kleinen Frau vorgeschoben war ist keine Überraschung. Zu leicht wird deutlich, dass es um den Schutz der Rendite gewisser Unternehmen geht. Vielleicht geht es tatsächlich auch um den Schutz des allgemeinen Industriestandortes. Ein besonders haarstäubendes Detail ist die noch geplante Belastung des Eigenstromverbrauches. Weil man Netze entlastet und direkt in regenerative Energien investiert soll man solidarisch zusätzlich in die EEG-Umlage einzahlen. Das die Besteuerung des Eigentstromverbrauches nicht die Stromtarife senkt hat nun ein Gutachten erwiesen, das durch die Bundesregierung selbst in Auftrag gegeben wurde. Sigmar Gabriel hat bereits sehr viel vertrauen verspielt – obwohl er genau dieses für künftige Wahlen bräuchte.

Noch kann etwas Respektables übrig bleiben

Am liebsten würde ich Herrn Gabriel an den guten Kern des inneren Sigmars erinnern. Ich würde mir einfach wünschen, dass dieser anstelle des reinen Machtkalküls den Gedanken der Zukunftsverantwortung aufgreift. Eine Energiewende in Bürgerhand ist ein tief sozial-demokratischer Ansatz. Das müsste ihm doch gefallen? Eigentlich würde ich mir wünschen, dass Sigmar Gabriel mit der Schadensbegrenzung beginnt, so dass es die nächste Regierung wieder korrigieren kann. Ich wünsche mir Ehrlichkeit, um dem Mann vertrauen zu können. Letztlich liegt es an ihm selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Bis dahin lassen wir uns nicht unterkriegen. Am Ende können wir alle nur hoffen, dass die vermeintliche Ohnmacht überwunden wurde.