Neulich habe ich auf LinkedIn meinen Beschluss gepostet, dass ich von nun an das Wirtschaftswachstum konsequent öffentlich hinterfragen möchte; denn andernfalls könne ich mich im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit selbst nicht mehr ernst nehmen. Die Resonanz auf diesen Post war bemerkenswert. Deshalb habe ich in dieser Story ausformuliert, worum es mir dabei genau geht.
Es ist so: Wenn ich über echte Lösungen für die mannigfaltigen Herausforderungen unserer Zeit nachdenke, dann erscheinen mir immer wieder die gleichen Ansätze bedeutsam. Dazu gehört das Hinterfragen des glorifizierten pauschalen Wirtschaftswachstums, aber auch ein gutes Leben (La Buena Vida), technischer Klimaschutz, ein friedfertiges Zusammenleben und dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen.
Manche dieser Aspekte habe ich bislang aus meinem Berufsleben ausgeklammert. Damit will ich aufhören und auch das thematisieren, was sonst unter den Tisch fallen würde.
Das erscheint mir wichtig:
Die Wachstumsfrage ist im politischen Raum angesiedelt. Man muss kein großer Denker sein, um einzusehen, dass begrenzte Ressourcen keine Grundlage für unendliches Wachstum bieten können. Wir müssen unterscheiden, welches Wachstum für Zukunftsfähigkeit sorgt und welches die Menschheit Richtung Abgrund treibt. Hierzu wurden bereits eine ganze Reihe politischer Reformoptionen entwickelt, die systematisch erfasst, beschrieben und kommuniziert werden sollten.
Das Schwierige an der Wachstumsfrage im politischen Raum ist, dass man rasch in die gefürchtete Verzicht-Falle tappen kann. Sobald sie zuschnappt, sollte man geschickt argumentieren können. Der Vorwurf des Verzichts birgt eine tiefe Ironie in sich: Denn jede Entscheidung für etwas bringt Verzicht mit sich. Wer sich für fossile Energien entscheidet, der verzichtet beispielsweise auf den Erhalt menschlicher Lebensgrundlagen. Wer sich dem Genuss des Rauchens hingibt oder ungebremst schlemmt, der verzichtet auf seine eigene körperliche Gesundheit.
Das Wachstum betrifft uns alle auf der individuellen Ebene und ebenfalls in den Gemeinschaften (wie eben auch in Unternehmen), in denen wir uns bewegen.
Auf persönlicher Ebene sehe ich sehr viele Chancen auf eine bessere Lebensqualität durch eine individuelle Genügsamkeit. Wir können aus dem Hamsterrad aussteigen, wenn wir für uns selbst in diversen Fragen ein Genug definieren. Wir können uns Freiräume für ein gutes Leben schaffen. Glücksforscher*innen haben längst herausgearbeitet, dass der Anstieg des Einkommens nur bis zu einem gewissen Punkt etwas zum persönlichen Glücksempfinden beitragen kann. Mehr als dies anzustreben bedeutet, einen Verzicht in Hinblick auf andere Aspekte hinzunehmen, die ein gutes Leben fördern können – wie beispielsweise gesunde Beziehungen. „Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Leben“ (Thich Nhat Hanh).
Die Welt verändert sich spürbar und wir müssen mit diesen Veränderungen umgehen lernen. Dies kann sich herausfordernd anfühlen, wenn beispielsweise alte Rezepte und Grundüberzeugungen nicht mehr funktionieren. Wenn wir an den Realitäten verzweifeln, sind wir außerstande, zu Lösungen beizutragen. Ebenso ist ein Ausbrennen im Aktivismus nicht zielführend. Wir benötigen Mindsets (Geisteshaltungen), die uns in die Lage versetzen, auch mit schwierig anmutenden Realitäten konstruktiv umzugehen. Dies umfasst auch unsere Gefühlswelt: Wenn uns etwas emotional belastet oder gar überfordert, dann ist es gut, wenn wir wissen, wie wir uns immer wieder zurückholen und unser Wohlbefinden restabilisieren können. Ein weiterer wichtiger geistiger Aspekt, der gestärkt werden kann, ist unsere emotionale Verbundenheit mit unserer Mitwelt. Wer sich mit unserer wundervollen Erde wirklich verbunden fühlt, der mag sie intensiver beschützen.
Für mich sind derartige geistige Aspekte der in der Nachhaltigkeitsbewegung seit langem geforderte Bewusstseinswandel. Dieser muss meiner Ansicht nach mehr als ein bloßes Umdenken umfassen. Er muss so unter die Haut gehen, dass wir in der Lage sind, unser Verhalten zu verändern. Herbeigeführt werden kann er meinem Verständnis nach ausschließlich auf der individuellen Ebene von Menschen, die sich bereitwillig mit ihrem Geist, ihrer Psyche und ihrer Spiritualität befassen. Dies trägt zum kollektiven Bewusstseinswandel bei. Dorthin mag es unzählige Wege geben.
Ich persönlich finde das Thema Achtsamkeit für nachhaltige Lebensstile hochinteressant. Im Zusammenhang mit dem Fortbestand der Menschheit spricht der bereits zitierte Friedensaktivist und Zen-Meister Thich Nhat Hanh eindeutig von der Notwendigkeit eines kollektiven Erwachens, zu dem wir allesamt beitragen können, indem wir selbst gut für unseren inneren Frieden sorgen. So merken wir leichter, was wir wirklich benötigen und was wir – ohne Lebensqualität zu verlieren – getrost weglassen können. Wer Achtsamkeit ohne buddhistische Einfärbung will, für den könnte MBSR (Mindfull Based Stress Reduction) nach Jon Kabat Zin interessant sein. Achtsamkeit für Unternehmen gibt es im Netzwerk Achtsame Wirtschaft.
Im Gegensatz zu manch einem populären Wachstumskritiker sehe ich den technischen Klima- und Umweltschutz und die dazu gehörenden Wirtschaftszweige als einen wichtigen Teil der Lösung an. Zum technischen Klima- und Umweltschutz gehören politische Leitplanken und Rahmenbedingungen. Erneuerbare Energien & Co. helfen unabhängig von politischen Wertvorstellungen oder der Ausgestaltung unserer Wirtschaftssysteme. Mich empört es, wenn das eine gegen das andere aus ideologischen Gründen ausgespielt wird. Wir sind zukunftsfähig, wenn es gelingt, die ganze Erde ausreichend schnell auf erneuerbare Energien umzustellen UND mit den verfügbaren Ressourcen maßvoll zu wirtschaften. Weder Postwachstum noch Erneuerbare können unsere Probleme alleine lösen. Wenn Erneuerbare Energien aber wachsen, kann dies in den meisten Fällen als positiv gelten.
Offenheit statt Ideologie: Spätestens die Impfdiskussion der Corona-Pandemie hat mir klargemacht, dass ich gesellschaftliche Polarisierung sehr abträglich, gar widerwärtig finde. Es gab Freundschaften und Familien, die zerbrochen sind, weil eine Detailfrage über alles Andere gestellt worden ist. Wenn wir in einer friedlichen Welt leben wollen, dann müssen wir im Kleinen und Großen mit unterschiedlichen Meinungen, Ansichten und Überzeugungen umzugehen lernen. Hierbei helfen unter anderem Skills wie das tiefe Zuhören aus der Achtsamkeit oder die gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg.
Auch die Diskussionen um Pfade aus den ökologischen Krisen unserer Welt werden teils verbittert und ideologisch aufgeladen geführt. Es ist ja gut, wenn wir die Lösungsansätze verfolgen, an die wir glauben. Aber es ist noch besser, wenn parallel weitere Lösungsansätze verfolgt werden. Wenn wir doch ähnliche Ziele haben: Vielleicht können wir voneinander lernen! Oder Probleme aus unterschiedlichen Richtungen gemeinsam lösen. Sich hier mit verbohrten ideologischen Diskussionen aufzuhalten, verschwendet kostbare Gestaltungskraft. Ein Ideenwettbewerb nach bestem Wissen und Gewissen ist zielführend.
Was meinte ich mit öffentlich?
Auf LinkedIn proklamierte ich, dass ich mich öffentlich äußern wolle und dachte dabei zunächst an die sozialen Medien. Auch offen bin ich für Vorträge, Workshops oder eine Zusammenarbeit mit klassischen Massenmedien.
Das Maß, in dem ich dies tun kann, ist begrenzt; durch familiäre Notwendigkeiten, ihre Finanzierung und damit der lieben Zeit. Auch bei diesen Lieblingsthemen brauche ich ein Genug.
Was manche vielleicht erwartet haben, ich aber nicht meinte ist, dass ich nun tagein, tagaus mit meiner Agenda als Wanderprediger durch das Land ziehen will. Es wäre viel besser, wenn viele Stimmen aus vielen Ecken und Enden der Gesellschaft ertönen. Mir geht es nicht darum, persönlich sichtbar oder bekannt zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, zu den genannten Themen Kommunikationshinweise für Kommunikator*innen zu erarbeiten.
Ich weigere mich, mir mit diesem schönen Themenset ein neues Hamsterrad zu bauen. Vielmehr will ich den Ausstieg aus rastlos machenden psychischen Zwangskonstrukten schmackhaft machen. Als mein Blogschwerpunkt früher auf erneuerbaren Energien lag, hatte ich schon einmal eine ungesunde Rastlosigkeit erlebt, die sich damals durch soziale Medien unangenehm verschärft hatte.
Also: Wenn mal eine Weile nichts von mir kommt, dann war keine Zeit. Oder ich hatte nichts zu sagen.
Was motiviert mich?
Um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, müssen wir Menschen uns austauschen und gemeinschaftlich gute Lösungsansätze verfolgen. Da halte ich es für abträglich, wenn ich die Ansätze weglasse, die mir besonders wichtig erscheinen.
Aus einer selbstbestimmten Agenda ziehe ich viel Kraft. Die Arbeit für meine Kund*innen geht erfreulicherweise immer ein Stück weit in unterstützenswerte Richtungen. Dennoch will ich mir Freiraum für Synthesen nehmen. Ich möchte mein Denken und schöpferisches Tun nicht auf das Marktgesetz der Nachfrage beschränken. Wenn mich in diesen selbstgewählten Themen jemand unterstützen will, sage ich natürlich auch nicht nein.
Transformation by design or desaster?
Der Autor Harald Welzer stellt die Schicksalsfrage, ob wir Menschen den Wandel selbst in die Hand nehmen, oder ob uns Desaster dazu zwingen werden. Lasst es uns per Design versuchen und uns mehr zukunftsfähiges Verhalten angewöhnen. Am Ende des Tages wird es eine Mischung aus Beidem werden. Denn Katastrophen wie Dürren und Überflutungen haben bereits begonnen. Wir aber können unser Bestes dafür geben, den Design-Anteil zu erhöhen und zugleich glückliche Momente und inneren Frieden erleben.
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