Kann und will die Automobilindustrie eine breitenwirksame Einführung von elektrisch angetriebenen Autos? Mit dieser Frage reiste ich per ICE zum Barcamp #Mobilwandel. Die Frage des technischen Könnens deutscher Ingenieure lässt sich vermutlich leicht mit einem „Ja“ beantworten. Das Wollen, ist jedoch nicht so einfach zu beantworten.
Die Erwartung einer munteren und höflich ausgetragenen Kontroverse erfüllte sich in meiner Session. Bemerkenswert, dass das BMUB über die Agentur tippingpoints ein so offenes „Mitrede-Format“ zulässt. Wie bei Gesine Schwans Format „Trialog“ gelingt ein Austausch zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren. Auch wir Energieblogger wollen offene Gespräche mit allen und „zelebrieren“ daher am 7.-8. Oktober unserer fünftes Barcamp Renewables.
Sind 100% E-Autos gewollt?
Sobald alle ihren Kaffee hatten, ging es in dem rustikalen Ambiente der Spreewerkstätten los. Frei von der Leber weg habe ich erst einmal Zitate vorgestellt. Meine Recherche sollte das Interesse der Automobilindustrie an E-Autos ergründen. Ich dachte mir, dass man die Interessen am ehesten anhand der Aktivitäten der Interessensvertreter erkennen kann – gut verpackt formuliert und diskret serviert. Diese Spur der Interessen aber würde nicht in „Sonntagsreden zum Klimaschutz“ erkennbar sein.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass unter den freundlichen Gästen auch Interessensvertreter der Automobilindustrie waren. Kommen wir zu den Fundstücken:
Eine höhere Förderung von E-Autos wurde abgelehnt
Vor weniger als zwei Wochen berichtete der stern über das „Das 4000-Euro-Geschenk, das keiner will“. In dem Blogbeitrag über die „Kaufprämie für Elektroautos“ wird berichtet,
„..wie der mächtige Verband der Automobilindustrie (VDA) im Verbund mit der Gewerkschaft IG Metall noch im vergangenen Herbst gegen ein deutlich ehrgeizigeres Fördermodell Front machte. Es sollte den Käufern 5000 Euro Prämie garantieren. Und es hätte überdies den Charme gehabt, die Steuerzahler nichts zu kosten.„
„Doch egal ob BMW oder Daimler – sie waren strikt dagegen: Es drohe eine “Stigmatisierung“ der deutschen Premiumkarossen, klagten sie laut den Vermerken der Fachbeamten der Bundesregierung.“
Einer der höflichen Interessensvertreters sagte, dass man sich gewandelt habe. Man wolle Klimaschutz und meine Zitate seien total veraltet. Er hob hervor, dass man sich vielmehr für die derzeit geltende Förderung der E-Autos stark gemacht habe. Jetzt wurden auch jene munter, die sich keinen Kaffee geholt hatten.
Auch eine verbindliche Elektroauto-Quote wurde abgelehnt
In dem gleichen stern-Artikel vom 9.9.2016 berichtete der Journalist Tillack, dass..
„..VDA und IG Metall auch „vehement“ ein weiteres Element des ursprünglichen Programms ablehnten. Hier sollte den Herstellern eine verbindliche Quote von Elektroautos an allen Neuzulassungen auferlegt werden.“
Warum dies? Es bringe nichts für den Klimaschutz und es gäbe keine funktionierendes Geschäftsmodell für den Betrieb von Ladesäulen.
Automobilhersteller und Klimaschutz
Unter meinen Recherche-Funstücken war mit der „Selbstkontrolle“ tatsächlich eine alte Kamelle vorgetragen worden. Lobbycontrol berichtet:
„In den 90er Jahren gelang es ihr, verbindliche CO2-Emmissionsziele zu verhindern. Sie brachte stattdessen ein System der freiwilligen Selbstverpflichtung ein, dass heute als gescheitert gelten kann„
Im Jahr 2013, als auch öffentlich einsehbar 690.000 € Parteispenden geflossen waren, setzte sich Kanzlerin Angela Merkel für die deutsche Automobilwirtschaft ein. Lobbycontrol schreibt:
„Vor allem hat die Autoindustrie ihre Mitgliedschaft in der CARS21-Beratergruppe der EU-Kommission genutzt, um die Einführung von Emissionsstandards hinauszuzögern. Dies geschah stets mit freundlicher Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung. Die deutschen Autobauer konnten auf Kanzlerin Merkel im Ministerrat zählen, wenn es um ihre Interessen ging. Dazu zählt auch die Verzögerung der Einführung von neuen Teststandards, die den jetzigen VW-Skandal hätten verhindern können.“
„E-Autos? Die Industrie will das doch gar nicht!“
So der Einwurf einer charmanten Teilnehmerin. Dazu passt ein Bericht der deutschen Mittelstands Nachrichten vom Mai diesen Jahres, zu einer Lobby-Intervention für Biokraftstoffe:
„VW und Shell sollen zusammen mit weiteren Konzernen aus der Auto- und Ölindustrie versucht haben, den europäischen Vorstoß für Elektroautos zu blockieren. Sie wollten die EU mit einer Studie davon überzeugen, statt der Elektro-Antriebe die Biokraftstoffe stärker zu fördern.“
„Die Studie kam kurz vor dem Start der Verhandlungen der EU um die Festlegung der neuen Kraftstoffeffizienzziele für 2025 und 2030 heraus, mit denen die Klimaziele von Paris erreicht werden sollen.“
Ein freundlicher Interessensvertreter mit schlechtem Datumsgedächnis sprach sich für Klimaschutz aus. Man müsse nur über das „wie“ reden. Es sei besser das Klima über Power-to-Gas und synthetische Kraftstoffe zu schützen. In der Tat ist Methan aus Power-to-gas einer der wenigen Langzeitspeicher der Energiewende.
Die Argumentation mit synthetischen Kraftstoffen und „Bio“-Kraftstoffen halte ich dennoch für ein Ablenkungsmanöver. Man will länger ungestört Verbrennungsmotoren bauen. Dem Hersteller kann es egal sein was getankt wird. Die Ölpreise werden jedenfalls nicht zur Betankung mit synthetischen Kraftstoffen ermuntern. EU-Experten sorgen sich bei diesen Ansätzen um langfristige Klimaschutzziele.
Weiterhin berichtete ein Interessensvertreter, dass man doch erst einmal mehr erneuerbaren Strom herstellen solle, bevor man andere Motoren fordert. Zu dem Thema passend erwähnte die auf dem Barcamp kurz anwesende europäische Kommissarin für Transport, Violeta Bulc:
„..all processes go parallel“.
Wir müssen also zugleich erneuerbare Energien ausbauen und auf Antriebe umstellen, die für diese saubere Energie geeignet sind. Wirksamer Klimaschutz muss in allen Sektoren zügig erfolgen.
Was würde die Umstellung der Produktion wirtschaftlich bedeuten?
Ein offener und freundlicher Mitarbeiter eines Automobil-Zulieferers erklärte mir das wirtschaftliche Interesse so: Man wolle möglichst lange den Status-quo erhalten. Das klang glaubwürdig. Wer von einem breitenwirksamen Antriebswechsel profitiert ist unklar. Ein anderer Gast bestärkte diese Hypothese. Schließlich könnten E-Autos auch durch neue und fachfremde Unternehmen gebaut werden. Abends dann, als Umweltministerin Barbara Hendricks die Bühne betrat, räumte auch sie Nachteile für Hersteller ein:
„Dann braucht man beispielsweise keine Getriebe mehr.“
Kann man mit E-Autos Geld verdienen?
Man sagte mir, dass Automobilhersteller mit E-Autos kein bzw. zu wenig Geld verdienen könne. Dafür müssten schon die Käufer mehr Geld in die Hand nehmen. Umweltbrief.org formuliert scharf:
„Die Hersteller verkommen zu reinen Karosseriebauern, da sie weder die E-Motoren, noch die Akkus selbst herstellen.“
Mit welchen Auto-Produkten wird wie viel Geld verdient?
„Momentan bringt nur noch das Premium-Segment Profit“
Die Frage zur These von Umweltbrief.org wurde an die Hersteller weitergeleitet. Eine pauschale Aussage sei schwierig. Dies sei bei jedem Hersteller anders. Als wir mitten im Thema waren, waren die 45 Minuten der Session vorbei. Ich hätte gerne über Arbeitsplätze gesprochen. Hoffnungen ruhen auf einer Fertigung in Deutschland. Der stern schrieb kürzlich:
„“Eine Zellfertigung in Deutschland?“, fragt der Mann eines Herstellers. „Wieso das denn?“ Da gebe es doch weltweit riesige Überkapazitäten. Der Daimler-Konzern hat erst Ende 2015 die einzige hiesige Zellfertigung der deutschen Hersteller stillgelegt. Zu teuer.“
Fazit: Ja, deutsche Hersteller wollen E-Autos. Aber bitte nicht breitenwirksam.
Nur die Zeit wird zeigen, ob eine schneller Umstellung der Hersteller nicht klüger gewesen wäre. Auch Stromkonzerne hielten bis vor Kurzem erneuerbaren Strom für eine Nische und müssen sich anhören, dass sie die Energiewende verpennt hätten. Der Wertverfall der Aktien ist an dieser Stelle bereits immens. Vielleicht behält auch US-Autor Tony Seba recht. Seiner Einschätzung nach werden sich E-Autos wie von allein in einer disruptiven Marktentwicklung durchsetzen, da diese unter anderem flott billiger werden und wartungsarm sind (Videos dazu gibt es hier). Energieblogger Daniel Bannasch sagt zu dem Zeitpunkt eines Durchbruches:
„Man muss nur vor zwei Autos stehen und das E-Auto ist besser.“
Mit einer breitenwirksamen E-Mobilität hat Klimaschutz eine Chance. Wenn Herr Seba und Herr Bannasch recht behalten, dann können Arbeitsplätze nur dauerhaft gesichert werden, wenn deutsche Autobauer schnell handeln. Nur dann kann die Marktkontrolle behalten werden. Daimler-LKW-Vorstand
Wolfgang Bernhard
sagte im Tagesspiegel etwas in diese Richtung:
„Bei großen Technologiesprüngen ist es so: Wer zu früh kommt, verliert Milliarden, und wer zu spät kommt, verliert den Markt. Diesmal liegen wir beim Timing richtig. Das nächste Jahrzehnt bringt eine Zeitenwende. Produktionskapazitäten und Batteriekosten werden sich in einem sich selbst beschleunigenden Prozess in die richtige Richtung entwickeln.“
Jedoch muss auch keiner so tun, als sei ein solcher aktiver Wechsel einfach. Aktionäre warten ungerne auf Rendite. Jeder Unternehmer kennt das Henne-und-Ei-Problem von Investitionen.
Die Frage könnte man auch anders stellen. ist der Markt bereit für E-Autos? Sind die Kunden bereit für E-Autos? Industrie klammert sich immer an bestehenden Technologien, das kennen wir aus anderen Bereichen.
Elektroautos wird die Autoindustrie so verändern wie erneuerbare Energien die Energiewirtschaft. Die Hersteller verdienen heute noch sehr gut an Ersatzteilen und Service. Das würde fast komplett wegfallen, denn Elektroautos haben viel weniger Einzelteile die getauscht werden müssten. Sie brauchen also auch hier neue Geschäftsmodelle.
Hinzu kommen die Themen veränderte Nutzung und Digitalisierung. Diese kann man nicht ausblenden, auch brauchen die Hersteller neue Angebote und müssen in den Geschäftsmodellen berücksichtigt werden.
Zum Abschluss noch ein Hinweis auf das viel diskutierte Thema selbstfahrende Autos. Diese werden mit Sicherheit keinen Verbrennungsmotor haben 😉
Das stimmt. Jedoch sind dies zwei andere Fragen. Für Breitenwirksamkeit müssen das Angebot, die Nachfrage und die Rahmenbedingungen passen.