FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner – in seinem Auftreten hat er vielen im politischen Berlin etwas voraus. In der Sache Umweltschutz offenbart Lindner jedoch, dass er ein Blender sein kann. Als ich die sehenswerte ZDF-Doku ”Zwischen Wunsch und Wirklichkeit – Wie realistisch ist die Energiewende?” von Birgit Tanner sah, wurde mir schlecht, als ich den O-Ton von Christian Lindners Äußerungen hörte. Auf der Landespressekonferenz am 16. Juni sagte Christian Lindner bei Vorstellung des schwarz-gelben Koalitionsvertrags für Nordrhein-Westfalen (Minute 12:22):

“So wie der Windkraftausbau – um es beim Namen zu nennen – in Nordrhein Westfalen vorangetrieben ist, ist es ein Glaubwürdigkeitsproblem für Bündnis 90/Die Grünen gewesen. Wie kann denn eine Partei, die aus der Umweltbewegung kommt, zulassen, dass riesenhafte Anlagen in den Naturraum gebaut werden – mitten in den Wald…”

Plötzlich entdeckt der FDP-Politiker sein ökologisches Gewissen. Weiter geht es in der Doku, und in Minute 13:30 hört man Christian Lindner sagen:

“Der überbeschleunigte Ausbau der Windkraft, ohne dass der Strom tatsächlich genutzt werden konnte – nicht gespeichert nicht genutzt werden konnte – der dennoch bezahlt werden musste und der voll zu Lasten von Flächen beispielsweise im Wald oder für die Landwirtschaft gegangen ist. Das war nicht ökologisch, sondern das war ideologisch. Und dahinter standen handfeste wirtschaftliche Interessen einer Branche.”

Christian Lindner freut sich über Wahlgewinn :: Foto von Olaf Kosinsky [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons

Er setzt dem Ganzen den Vorwurf der Geldgier vor, wie man es von “Vernunftkraft” kennt. Lindners Ausführungen sind stark vereinfacht und verzerren das Gesamtbild. Ergänzt wird diese für seine Klientel wohlbekömmliche Effekthascherei durch komplette Falschaussagen. Ich hoffe, Journalisten machen sich die Mühe, derartige Aussagen zu überprüfen. Ob dies aus Unkenntnis geschieht oder um Stimmung für das Bremsen der Windkraftausbaues in Nordrhein-Westfalen zu machen, weiß ich nicht.

So sehe ich die Fakten:

In NRW wird Windkraft im Wald sensibel an ökologisch wenig wertvollen Standorten umgesetzt

Windkraft im Wald ist ein sensibles Thema. Deshalb gibt es zu Recht Einschränkungen und keinen pauschalen Freifahrtschein, bei dem das Windangebot über den Bau entscheiden würde. Mit dem Windenergieerlass 2011, der seit Anfang November 2015 in aktualisierter Form rechtskräftig ist, wurden diese Flächen in Nordrhein-Westfalen auf ökologisch wenig wertvollen Flächen geöffnet:

“..Deshalb eignen sich für eine Ausweisung von Gebieten für die Windenergienutzung insbesondere Kahlflächen, die aufgrund von Schadensereignissen entstanden sind.”

Auf ökologisch wertvollen Flächen ist diese Ausweisung ausgeschlossen:

“Eine Ausweisung kommt nicht in Betracht, wenn es sich um besonders wertvolle Waldgebiete (insbesondere standortgerechte Laubwälder, Prozess-Schutzflächen) handelt.”

Details stehen im Leitfaden „Rahmenbedingungen für Windenergieanlagen auf Waldflächen in Nordrhein-Westfalen“. Nur wenn eine Vielzahl von Kriterien erfüllt wird, ist in NRW Windkraft im Wald zulässig.

In NRW bleibt sehr wenig Windstrom ungenutzt

Wenn eine Windkraftanlage netzbedingt abgeregelt wird, nennt man das – wie auch bei anderen erneuerbaren Energien und KWK –  “Einspeisemanagement”. Dafür werden Betreiber entschädigt. Bei konventionellen Kraftwerken, die mehr als 50 MW Leistung bringen, gibt es ein Pendant, welches “Redispatch” genannt wird.

Der “Bericht zu Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen” von der Bundenetzagentur zeigt auf Seite 23, dass nur 0,3 Prozent der bundesweiten Kosten für Einspeisemanagement in NRW entstanden sind. Wenn Herr Lindner das Gleiche in Schleswig-Holstein gesagt hätte, dann hätte es eher gepasst. Dort entstehen 73,2% der Kosten für Einspeisemanagement.

Herr Lindner hat nicht angesprochen, dass für “Redispatch”-Maßnahmen ebenfalls Ausgleichzahlungen geleistet werden (Quelle: BDEW). Bundesweit wurden

  • im Jahr 2015 411 Millionen Euro für Redispatch gezahlt
  • und im Jahr 2016 373 Millionen Euro für Einspeisemanagement.

Beide Ausgleichzahlungen sind ein Indiz für mangelnden Netzausbau, fehlendes Lastmanagement, zu wenig Speicher und fehlende Dezentralität.

Fläche zwischen Windrädern kann gut für Land- oder Forstwirtschaft genutzt werden

Bis auf einen proportional kleinen Sockel kann die gesamte Fläche wie gewohnt land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden.

Ob und wie will die FDP das Klima schützen?

Umweltschutz und Klimaschutz sind immer eine Frage von Abwägungen unterschiedlicher Vor- und Nachteile. Undifferenzierte Aussagen können daher nie der Materie gerecht werden. Wenn einem Umwelt und Klima gleichgültig sind, dann kann man sich die Abwägung sparen.

Die FDP NRW schreibt, dass sie sich zu dem Ziel bekenne,

“dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral wirtschaften soll”.

Das ist vielleicht langsam, aber immerhin… Und wie will sie dies erreichen? Durch Vernunft, Wettbewerb und Marktwirtschaft will sie das schaffen und “führender Anbieter von sicheren Energieversorgungs-Kapazitäten” bleiben. Das kann man so verstehen, dass die Kohle munter weiter verbrannt wird. Oder wie?

Laut FDP müssten sich alle Erzeugungstechnologien ohne Subventionen durchsetzen. Dieser Anspruch wird erschreckend wenig konkretisiert.

Sind damit auch Mechanismen wie die EEG-Umlage gemeint? Vermutlich hauptsächlich.  Es gibt in der Tat sehr viele Subventionen für atomar-fossile Energien, die man für das Erreichen der Klimaschutzziele abbauen muss. Genau dort müsste man anfangen. Erst wenn der Markt davon bereinigt wäre und in Energiepreisen externe Kosten enthalten sind, würden sich erneuerbaren Energien endgültig durchsetzen können. Bei dem, was ich der FDP aber unterstelle, will sie die EEG-Einspeisevergütung abschaffen und die Kohle weiterhin über das Gesundheitssystem und Kosten für Klimafolgen, zum Beispiel Hochwasserhilfe, bezuschussen.

“Wir Freie Demokraten setzen dabei auf so viel Wettbewerb wie möglich und so wenig staatliche Steuerung und Regulierung wie nötig.”

Heißt weniger Steuerung und Regulierung auch, dass künftig alle Waldstandorte für Windkraft genutzt werden? Für ökologisches Augenmaß bleiben Leitplanken nötig.