Die „Initiative Erneuerbare Energiewende Jetzt!“ ruft am 6. März zum „dezentralen Branchenaktionstag“ auf, weshalb einige von uns Energiebloggern dazu schreiben. Während ich die Kampagnenseite lese, frage ich mich, ob sich außerhalb des Fachpublikums überhaupt jemand etwas unter dem Begriff „Dezentralität“ vorstellen kann. Deshalb erkläre ich diesen Begriff. Fachleute können dies gleich überspringen und sich zu einem ökonomischen Vergleich zwischen Zentralität und Dezentralität informieren. Vorab: Wirtschaftliche Gewinner der Dezentralität sind die Dörfer in unserem Land.

Dezentralität aus räumlicher Sicht

Zentrale Kraftwerke sind die alten Großkraftwerke die aus Kohle oder der Kernspaltung die Energie nutzbar machen. Ausgehend vom zentralen Kraftwerk wird der Strom und manchmal auch die Abwärme „strahlenförmig“ ins Umland zu den Verbrauchern geleitet. Das Gegenteil ist dezentral: Am Ort des „Verbrauches“ wird die Energie „erzeugt“ (umgewandelt). Etwaige Stromüberschüsse werden wieder in das gute alte Stromnetz eingespeist, weshalb insbesondere diese „Verteilnetzebene“ für diese neuen technischen Anforderungen modernisiert werden muss. Aus der Vogelperspektive sind es viele kleine Anlagen, die auch sichtbar sind, was manche sehr stört. Dezentral angeordnete Anlagen können fast alle erneuerbare Energien oder kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sein. Im Grunde aber sind größere Flusskraftwerke, große Offshore-Windparks oder tiefe Geothermie-Anlagen räumlich gesehen nicht dezentral. Außer es befinden sich in Anlagennähe energieintensive Industrien.

Dezentralität aus struktureller Sichtwide_skyscraper_steinkohle

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gelang eine strukturelle Umwälzung der Besitzverhältnisse. Viele kleine Betreiber haben begonnen, dem noch immer übermächtigen Oligopol aus vier Konzernen einen Marktanteil von 25% des Strommarktes „abzunehmen“. Ein echter Wettbewerb im Sinne der europäisch geforderten Entflechtung und Liberalisierung des Strommarktes! Möglich gemacht haben dies der Einspeisevorrang und die Abnahmepflicht für erneuerbare Energien. Die planbare Einspeisevergütung über 20 Jahre hat Investitionen für Jedermann und jede Frau überschaubar gemacht. Genau hier kommt die Kritik an den Reformplänen der großen Koalition zum tragen: Genau diese Planbarkeit und damit der Strukturwandel werden nun blockiert.

Dezentralität und Demokratie

Dezentralität sei gut für die Demokratie, so sagen die Befürworter der Energiewende in Bürgerhand. Was ist da eigentlich genau gemeint? Ein kleines Kraftwerk kann doch nicht wählen gehen und der Besitzer erhält keine zusätzlichen Stimmzettel. Es sind also sind nicht die demokratischen Wahlen gemeint. Es sind auch keine direkten Volksabstimmungen wie in der Schweiz, auch wenn manchmal Bürger in Planungsprozessen etwas sagen dürfen.

Es geht dabei um eine energetische Selbstbestimmung, die von bösen Zungen bereits mit dem Begriff „Wildwuchs“ geschmäht wurde. Es kann sich also jeder für die Eigenversorgung durch erneuerbare Energien entscheiden. So gesehen handelt es sich genau genommen um ein Bürgerrecht, was wiederum ein Merkmal funktionierender Demokratien ist.

Es gibt einen weiteren Aspekt: Wenn es immer mehr kleinere Akteure werden, sinkt der politische Einfluss einzelner Akteure. Somit ist eine missbräuchliche Einflussnahme unwahrscheinlich. Wer also den Eindruck hat, dass unsere Politik zu stark durch Energielobbyisten bestimmt wird, der hat hiermit ein Gegenmittel in der Hand. Soweit dies die politischen Rahmenbedingungen (noch) zulassen.

Vergleich der Gesamtkosten von zentralen und dezentralen Strukturen der Energieversorgung

Mehr Bürgerrechte und Demokratie, dass hört sich doch gut an! Aber können wir uns das leisten? Dies haben die Experten für komplexe Simulationen um Prof. Dr. Ing. Joachim Twele und Dr. Christian Breyer in verschiedenen Szenarien berechnet. So gibt es nun eine fundierte Aussage zu den langfristigen Gesamtkosten des Energiesystems bei den unterschiedlich geprägten „Ausbaupfaden“. (Direkt zur Studie)

Die Studie kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen:

  1. Die jährlichen Gesamtsystemkosten sind kaum höher als heute. Für alle simulierten Jahre bewegen sie sich zwischen knapp 10 €cent/ kWh und knapp 11 €cent/ kWh. Würden kaum Steuern und Gewinne drauf geschlagen werden, würde Strom morgen weniger als die Hälfte kosten.
  2. Wenn ausschließlich die besten Standorte gemäß dem liberalen Prinzip gewählt werden, bringt dies einen minimalen Kostenvorteil von 0,2 – 1,2 % der Gesamtkosten, weshalb die Forscher keine „nennenswerten Kostenunterschiede zwischen den untersuchten Ausbaupfaden“ feststellen.
  3. Die geringen Kostenunterschiede in den drei betrachteten Szenarien geben der kommunalen Wertschöpfung Gewicht als ein entscheidendes Kriterium bei der Bewertung der Szenarien.
  4. Im Schnitt können bei einem dezentralen Ausbaupfad pro Bürger jährlich 80 € mehr „kommunale Wertschöpfung“ gewonnen werden. Die Unterschiede in den Einnahmen zwischen den Regionen sind bei einer dezentralen gleichmäßigen Anlagenverteilung um 1/3 geringer, als wenn man sich nur auf wenige Regionen mit Top-Standorten konzentriert.
  5. Wenn nur die besten Standorte gewählt werden, werden die Ausbauschwerpunkte ungleich. Es wird nicht flächendeckend die regionale Wirtschaft gestärkt.
  6. Ein starker Ausbau von Offshore-Windenergiekapazitäten verringert den Effekt der kommunalen Wertschöpfung, ohne zu niedrigeren Gesamtsystemkosten zu führen.
  7. Wenn man jetzt Kohlekraftwerke statt flexibler Gaskraftwerke zubaut, dann steigen die künftigen Gesamtkosten sobald es hohe Anteile erneuerbarer Energien gibt.

EB-Energiewende-GenerationenFazit: Die wichtigste Erkenntnis der Studie ist, dass eine dezentrale Energiewende viele Kommunen stärkt. Es ist also ein wirtschaftspolitisch kluges Instrument, um den teilweise ausgebluteten ländlichen Raum zu stärken.

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