Die Energiewende ist ein sehr kreativer Prozess: Mit sehr vielen Stakeholdern soll mit und gegen dem Willen weiterer Akteure ein völlig neues Modell der Energieversorgung entwickelt werden. Darin gleichen zwei Aspekte einem partizipativen Designprozess: Viele Anspruchsgruppen können mitgestalten und es sind tatsächlich neue Wege, die erfunden werden. Mich interessieren diese Gemeinsamkeiten, weil ich Gestaltungsprozesse moderiere und zugleich an Inhalten der Energiewende arbeite.

Wenn Mitmach-Gestaltung fehlt:

Zu Beginn will ich skizzieren, welche Schwierigkeiten durch Mitmachen in der Prozessgestaltung gelindert werden können. Auch wenn die Widerstände durch Schützer alter fossil-nuklearer Geschäftsmodelle groß sind, sehe ich darin nur den halben Bremsklotz. Gefühlt bremsen ebenso stark unkonstruktive Verhaltensweisen innerhalb der 94 % der Befürworter der Energiewende. Wir stehen uns selbst im Wege mit Haltungen wie: „ich will keine Veränderung“, „das klappt nie“, „ich allein kann nichts ausrichten“, „wenn der nicht dies tut, dann mache ich nicht das “, „was habe ich damit zu tun?“, „das müssen die Politiker und Konzerne machen“ oder „das Windrad vor meiner Tür stört, niemals!“. Bis heute ist die Situation entstanden, in der vom Gesamtkonzept zwar die politischen Ziele vorhanden sind, aber die Wege dorthin finanziell ausgetrocknet, blockiert und verschlafen werden. Zu viele kochen ein eigenes Süppchen und schauen nicht über den Tellerrand. Schuldzuweisungen sind leichter als Geld in die Hand zu nehmen. Lösungswege in dieser verfahrenen Situation brauchen Kreativität und die konstruktive Haltung des Design Thinkers. Die Energiewende muss als Gesamtes mit vielen unterschiedlichen Einzelprojekten gesehen werden. Die Energiewende muss Folge des veränderten Handelns großer Teile der pluralistischen Gesellschaft sein. Es werden noch mehr Pionierinnen und Pioniere gebraucht, die anstelle der lähmenden Angst den Mut zum Gestalten aufbringen.

Gelernte Lektionen aus dem „Design Thinking“ für die Energiewende:

In Tim Brown´s Definition für „Design Thinking“ stecken Lösungen:

„Die Methode basiert auf der Annahme, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen, und dann Konzepte entwickeln, die mehrfach geprüft werden.“

„..wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen zusammenarbeiten,..“

Während die einen weiter von Oben nach Unten Schlüsselentscheidungen treffen wollen, entwickeln andere neue Wege – mit unterschiedlichsten Anspruchsgruppen. Design Thinking will, dass Personen von Ämtern mit Bürgern reden, Windkraftbetreiber mit Vogelschützern, Politiker mit Energiearmen, Industrielle mit Erneuerbaren, Grüne mit FDP, Konzernlobbyisten mit Atomkraftgegnern der ersten Stunde, Kaufleute mit Energieberatern und so fort. Es geht also um Dialog zwischen Menschen, die untereinander wenig am Hut haben, um die unausgesprochenen vorhandenen Bedürfnisse der Anderen zu erfassen. Diese schwierigen und zugleich spannenden Gespräche sollen zwischen Menschen erfolgen, deren Beziehungen mit Emotionen und Vorurteilen beladen sind. Diese Dinge geschehen bereits in Klimaschutzkonzepten oder bei gut gemachten Bürgerbeteiligungen – leider gelingt dies nicht in allen Angelegenheiten: Beim Netzausbau ist dies gewollt oder aus Unvermögen deutlich missraten. Dennoch werden echte „Räume“ zum Mitmachen gebraucht – die durch gesetzliche Rahmen, Initiative und Offenheit entstehen können. In diesen Prozessen brauchen wir viel Geduld – allein um nur das Informationsdefizit auszugleichen.

„Berücksichtigung von Bedürfnissen und Motivationen“

Wie ich bereits in diesem Blog beschrieb, wissen wir über die Neurowissenschaften mittlerweile, wie wichtig innere Motive für Entscheidungen sind. Zwänge werden keine nachhaltig belastbare Veränderung erzielen – vielmehr ändert sich etwas durch die mühselige Arbeit, die tatsächlichen und auch unbewussten Interessen und Motive der Einzelnen zu integrieren. Lösungen müssen in die Vielfalt der vorhandenen Bedürfnisse passen. Der Lebensrealität wird man allerdings vom fernen Hannoverschen, Berliner oder Brüsseler Besprechungstisch einflussreicher Personengruppen kaum gerecht. In Gesprächen vor Ort hingegen, bei denen das Bedürfnis des Einzelnen wertgeschätzt wird und jeder das seinige einbringen kann, wird ein gangbarer, weil akzeptierter Weg geformt. (Stichwort „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Rosenberg). Dabei sehe ich wieder Klimaschutzkonzepte, Masterpläne, öffentliche Planfestellungsverfahren und gemeinsam betriebene regenerative Anlagen wie Photovoltaik oder Nahwärmenetze. Ich denke aber auch an die Möglichkeiten der Informationstechnologien, die wir im Netzwerk von SUSTAINMENT anbieten und entwickeln.

„Konzepte entwickeln“

Für ein Gesamtkonzept wird ein verbesserter Prozess gebraucht. Zunächst stecken in der Ausgangslage bereits bemerkenswerte Erfolge und es gibt bereits ein gewachsenes Bewusstsein für die Möglichkeiten einer dezentralen Energiewende. Ebenfalls existieren bereits örtliche Beteiligungsformen sowie Klimaschutzkonzepte – allerdings an zu wenigen Orten. Es müsste viel mehr örtliche Konzepterarbeitungen geben. Ebenfalls müsste anschließend die örtliche gemeinsame Projektentwicklung unterstützt werden, damit mehr Konzeptideen verwirklicht werden. Aus diesen vielen Einzelkonzepten müsste das vermisste Gesamtkonzept abgeleitet werden. Die daraus entstehenden Anforderungen können darin koordiniert verknüpft werden. In einem möglichen Gesamtkonzept kann mit Sicherheit auch das Ziel der Kostenoptimierung verfolgt werden.

„mehrfach geprüft“

Bestünde ein Gesamtkonzept, das die multiplen Bedürfnisse reflektiert, müsste es regelmäßig auf den Prüfstand – vor Ort und in den unterschiedlichen Projekt-, Verwaltungs- und Regierungsebenen. Im Energiekonzept der Bundesregierung ist bereits ein regelmäßiges wissenschaftliches Monitoring verankert. Diese gewonnenen Erkenntnisse müssten nun den politischen Diskurs zur Weiterentwicklung bestimmen, wovon ich nichts sehe – in Schlagzeilen dominiert die verkrustete Kostendiskussion. Nach jeder Prüfung müssen zielgerichtete Lerneffekte zu Optimierungen führen. Der kreative Prozess bedarf einer Freude zum Lernen aus Fehlern.

Mein Fazit

Wenn ich also reflektiere, sind in der Energiewende bereits alle Elemente des „Design Thinking“ vorhanden, wenn auch in einem knopspenhaften Frühstadium oder mit Seltenheitswert – ganz gleich der vorhandenen technischen Möglichkeiten für eine erneuerbare Vollversorgung mit intelligenten Netzen, Speichern, viel Effizienz und Dezentralität. Daraus lässt sich doch wirklich was machen.