Wer macht sich gerne seine Finger schmutzig? Wer den Erfolg will, der kann keine Gegner in der eigenen beruflichen Nachbarschaft gebrauchen. Je mehr Akteure aalglatt und vorsichtig agieren, desto mehr Diskussionen bleiben ungeklärt und desto weniger Leadership kann in der Energiewende stattfinden. Das Phänomen der Network-Nimbys ist geboren. Das „Not-in-my-backyard“ verwischt Klarheit und begünstigt jenen Opportunismus, der die Pforten für große Fehlentwicklungen eröffnet. Die Selbstreflektion des Branchen-Politik-Komplexes wurde für den Individualnutzen geopfert: Wer will sich schon selbst im Wege stehen und seine kostbaren beruflichen Beziehungen belasten… Stimmt meine Behauptung?

Wenn Sie mir im Kommentarfeld contra geben, dann würde mich dies erleichtern: Network-NIMBY´s bereiten mir Sorgen – sie begünstigen den Status-quo und verhindern nötige gesellschaftliche Transformationsprozesse. Große Fragen bleiben so ohne Antwort.

Erfolgreiche Lemminge oder Zeit für Kulturwandel?

Wortführer mit Deutungshoheit gefährden die Macht derjenigen, die etwas Anderes wollen oder sich einfach durch irgendeine beliebige Aussage wichtig fühlen wollen. Wer den Mund aufmacht, der fordert den Anderen heraus, anstelle im Machtgefüge in der akzeptierten und zugedachten Stellung zu bleiben. Nicht ohne Grund halten in einer Armee die Erfolgreichen ihre Schnauze.

Sicher? Sind wir wirklich nicht weiter, als es dieses tierisch geprägte Diskussionsverständnis zulässt? Ein fruchtbar-kreatives Miteinander erfordert eine andere Diskussionskultur, in der man etwas sagen darf, ohne sich vor Strafen fürchten zu müssen.

Network-NIMBY´s in der Kommunikation

Publicity

By Cloud21pr (Own work) [CC0], via Wikimedia Commons

Beginnen wir mit Blogs: Meinungen machen diese lesenswert und gefährden berufliche Perspektiven. Welche Akteure arbeitet gerne mit ihren eigenen Kritikern zusammen? Durch diesen vorsichtigen Gedanken gerät der Samthandschuh zwischen die Finger und die Tastatur. Wie auch in der Presse bestehen Abhängigkeiten zu Anzeigenkunden und Sponsoren. Schon ist die ausgeklammerte Weglassung heikler Themen geboren.

In der Corporate Communication ist es das Marketinginteresse, dass offensichtlich die öffentliche Selbstkritik vermeidet. Auch schwingt die Angst vor der sozialen Ausgrenzung mit. Wer die eigene Meinung wagt, der wagt riskiert eine gesellschaftliche Ausgrenzung. Als „toter Fisch“ im Mainstream lebt es sich vielleicht auch mit Redaktionskollegen angenehmer.

Für Öffentlichkeitsarbeiter gilt grundsätzlich, dass man die Interessen der Kunden vertritt. Im traditionellen Berufsverständnis ist keine eigene Meinung vorgesehen. In diesem Sinne bräuchte man einen neuen PR-Typus, der nicht jeder Anweisung blind gehorcht und glaubwürdiger ist. Dieser Typus aber gefährdet seine Einnahmen. Die Liste derartiger wirtschaftlicher Zwiespälte könnte weit fortgesetzt werden. Opfer bleibt die freie Meinungsbildung der Gesellschaft, die auch ohne tendenziöse Botschaften einem brutal verwirrenden Informationsüberfluss ausgesetzt ist.

Network-NIMBY´s in Unternehmen

von Jason Pratt from Pittsburgh, PA (Trees and light) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Bäume wachsen zum Licht von Jason Pratt aus Pittsburgh (Bäume und Licht) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Die totale Marktorientierung funktioniert wie das Licht im Wald. Dorthin wächst alles unerbittlich zugunsten der Zuckerbildung. Das dies in der Wirtschaft nicht aus sich heraus zu einem positiven Ergebnis führt beweist die Summe der sozialen und ökologischen Katastrophen. Wer mit allen Geschäfte macht und keine Präferenzen hat, der trifft nur eine Entscheidung: Das Finanzielle muss um jeden Preis gesichert werden. Man ist zu allen freundlich – egal was diese auf dem Kerbholz haben.

Wer jedoch Geschäfte mit Meinung macht, der wählt auch ein Stück weit die Folgen des eigenen Handelns aus. Beispiele dafür sind die nachhaltige Finanzwirtschaft als Ziel und die Divestment-Bewegung als Startpunkt einer umsichtigen Geldbewegung.

Damit es wächst, braucht der Baum dennoch genug Licht und vorausdenkende Förster, die eine produktive und stabile Artenvielfalt durch ausgewogene Entscheidungen ermöglichen. In einem besseren Marktrahmen würden öko-soziale Angebote bevorteilt werden und nicht diejenigen, die historisch gewachsen den wirksamsten Einfluss ausüben können.

Network-NIMBY´s in der Politik

von J. Patrick Fischer (Eigenes Werk) [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Ein flexibler Ministerpräsident Foto von J. Patrick Fischer (Eigenes Werk) [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Zum politischen Handwerk gehört der Fraktionszwang und die Parteilinie. Wer mit einer Stimme sprechen will, der Opfert die eigene Meinung zugunsten der Partei. Das mag ich nicht. Ich verachte es sogar, wenn ein Deal zu einer individuellen politischen Kehrtwende führt. Inhaltlich begründeten Einsichten hingegen finde ich großartig.

In der Energiepolitik enttäuscht mich die vorsichtige Haltung der grünen Partei. Dort will man lieber an dem mitreden und mitgestalten was dem politischen Trend entspricht, als jenes zu fordern, was wirklich für den Klimaschutz und die geopolitische Erpressungsfreiheit gebraucht wird. Damit tragen die Spitzen-Grünen eine Mitschuld an der Energiewende-Light und sind ein geeigneter Koalitionspartner für alle.

Geopfert werden die Positionierungen und damit auch die Unterscheidungen zwischen den Parteien. In einer parteiübergreifend gleichförmigen Politik geht die Aussage der Wählerstimme verloren. Politische Network-NIMBY´s schaden der Demokratie.

Gedanken zum konstruktiven Umgang in der beruflichen Nachbarschaft

Was lehrt uns all dies? Wenn wir Meinungen verschweigen, dann tragen wir die Verantwortung für die eigene Passivität. Das macht wenig Spaß. Da man sich sprichwörtlich mindestens zweimal im Leben trifft, sollten Meinung und Kritik respektvoll und höflich vorgetragen werden. Mir hilft dabei die Unterscheidung zwischen Mensch und Verhalten. Ich kann den Mensch samt seinen Werten doch auch dann respektieren, wenn es teilweise unterschiedliche Wertvorstellungen gibt. Bei aller Höflichkeit darf nicht zu sehr indirekt „durch die Blume“ kommuniziert werden. Denn ohne Klarheit trägt eine Aussage zur Verwirrung bei, als einer fruchtbaren Diskussion zu dienen.

Wie auch immer. Ein bischen NIMBY sind wir alle mal. Hoffentlich nicht zu oft.