Mit Empathie kann man(n) Frauen oft verstehen. Für Stromnetze aber brauchen wir Elektrotechnik, Physik, Wetterprognosen, Software, Kommunikationstechnik und den Maschinenbau. Noch immer bin ich auf der Suche nach Netzverstehern: Ist es ein Mythos, dass bislang nur die Kohlekraftwerke unsere Netze  stabilisieren können?

Diskussion um Kohleausstieg ist in Berlin angekommen

Um das Klima zu entlasten müssen die Kohlekraftwerke nach und nach abgeschaltet werden. Das ist logisch. Ebenso logisch ist der Ersatz: 100 % Erneuerbare und weniger Stromverbrauch durch Stromeffizienz. Diese Diskussion ist inzwischen auch in Berlin bei der Regierung angekommen. Der freundliche Minister Gabriel sagte erst, dass es besser sei, an der Kohle festzuhalten. Den  Forschrittsbericht der Energiewende lässt er laut „der Zeit“ schönschreiben. Offenbar nützt das Rückrat des Umweltministeriums der Sache. Bald aber wurde berichtet, dass Gabriel CO2-Reduktion erzwingen wolle. Gabriels Konzept des „Emissionsdeckels“ glich dem des Energiebloggers Thorsten Zoerner. Per Gesetz will Gabriel demnach dafür sorgen, dass die Kraftwerke der Stromkonzerne ihre CO2-Emissionen von 2016 bis 2020 jährlich um mindestens 4,4 Millionen Tonnen  reduzieren. Wie Wirksam ist die Idee?

Offenbar kann man Gabriels Ansatz als guten Anfang betrachten. Auch die Chefin des Bundesumweltamtes sieht einen guten Anfang, auch wenn sie sich mehr vorstellen könnte. Die mächtige Vertretung der Kohlekraftwerks-Betreiber reagierte prompt ablehnend. Laut n tv erwägt der BdEW die Forderung nach Entschädigungszahlungen. Im Umkehrschluss scheint sich eine tatsächliche Reduktion von Kohlekraftwerken abzuzeichnen, womit verdeutlicht wird, dass es in seiner Konsequenz für den Klimaschutz substanziell wirksam sein dürfte. Noch geht der Trend bis 2018 in die falsche Richtung, weswegen auch Thomas Oppermann (SPD), auf die Einhaltung der Klimaziele drängte. Es ist wichtig einen klaren, verlässlichen und planbaren Kohleausstieg zu organisieren. Eine leichtfertige Gefährdung von Unternehmen ist unnötig. Wenn jedoch klimaschädliche Energie eingeplant wird, dann doch für einen Übergang die tatsächlich flexiblen Gaskraftwerke. Für die mittelfristige Perspektive wurde die technische Machbarkeit bereits bewiesen, dass ein Netz zu 100 % mit erneuerbaren Strom gespeist und stabil betrieben werden kann.

„Wir würde ja so gerne..wenn da nicht die Netze wären“

Die tapfere Umweltministerin Hendricks, die Grünen und alle die sich für saubere Energie einsetzen, sagen, dass es besser sei aus Kohle und Atom auszusteigen. Das denke ich auch, deshalb habe ich den Blogger und den Twitterer der Aktiengesellschaft Energie Baden-Württemberg gefragt:

  Die haben mir mehrmals geantwortet:  

Ich bin froh, wenn überhaupt jemand offen für Dialoge ist. Vielleicht hätten mir die Kommunikationsbeauftragten anderer Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken ähnliches geantwortet. Ungerechtfertigtes Misstrauen wäre falsch. Glauben tue ich es jedoch auch nicht einfach so. Zu offensichtlich sind die wirtschaftlichen Interessen.

Ein weiterer Mythos um die Energiewende zu bremsen?

Noch immer habe ich keine ausreichende Antwort auf die Frage erhalten. Ich habe mich weiter informiert und mit verschiedenen Leuten geredet, da mir der Kohleausstieg seit längerem nötig erscheint. Die Ökonomen des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung hatten erste Hinweise: Die mittelfristige Strombedarfsdeckung durch Kraftwerke und Netze sei nicht gefährdet, wobei man sich auf die Folgen des Atomausstieges bezogen hatte. Die Netzsituation würde in Deutschland nach dem Kraftwerksmoratorium stabil bleiben. Die Abteilungsleiterin Prof. Claudia Kemfert sagte zur Versorgungssicherheit:

Im Moment haben wir einen Stromangebotsüberschuss. Wir haben mehr als ausreichende Stromerzeugungsmöglichkeiten im System und könnten problemlos einige Kohlekraftwerke sofort vom Netz nehmen, ohne dass es Versorgungspro – bleme gäbe; auch wenn man berücksichtigt, dass die Atomkraftwerke bis 2022 ebenfalls vom Netz gehen. Man muss jetzt regional sehr genau schauen, wo die Kraftwerke stehen. Stehen sie im Süden, wo auch die Atomkraftwerke vom Netz gehen und hohe Lastzentren sind oder stehen sie im Norden? Aber grundsätzlich ist es in der nächsten Zeit überhaupt kein Problem, auch auf Kohlekraftwerke zu verzichten.

Die Studie Szenarien einer nachhaltigen Kraftwerksentwicklung in Deutschland untermauert die Aussage des Interviews. Vielleicht ist es hier auch schon in den entscheidenden Details aufgezeigt worden, wonach ich suche.

Es gibt Indizien

Nun gut, aus der ökonomischen Sicht scheint es zu gehen und sich positiv auszuwirken. Der Mythosverdacht erhärtet sich. Aber die Elektrotechnik folgt nicht der Ökonomie, sondern der Physik. Funktioniert es wirklich technisch? Ich brauche weitere Quellen. Jener Thorsten, der bereits eine Vorlage für Gabriels Ansatz vorgedacht hatte, der zeigte auf, dass problematische Schwankungen bei allen Stromquellen auftreten. Er schreibt:

Kraftwerke sind hoch komplexe Systeme. Es liegt in der Natur der Sache, dass Störungen im Betrieb eine Abweichung der geplanten Erzeugung zur tatsätlichen Erzeugung von Strom, mit sich bringt. Eine Minder-/Mehrleistung entsteht bei Wind/PV-Anlagen, wenn zum Beispiel die Wettervorhersage nicht zutrifft. Bei fossilen Kraftwerken durch Defekte, Bedienfehler oder äußere Einflüsse.

Auch dies ist ein Indiz, das auf einen etwaigen Mythos hinweist. Ich habe diese Frage auch der Bundesnetzagentur gestellt. Vielleicht antwortet man mir eines Tages im Rahmen der Bürgerbeteilligung. Darauf aber will ich nicht warten. Klar ist die Notwendigkeit des Kohleausstieges. Die Forderung muss aber auch technisch machbar sein. Die Umsetzung sollte nicht zu ruckartig, aber konsequent erfolgen.

Wer kennt unabhängige Netzversteher?

Ich will es wirklich wissen:

  • Stabilisieren Kohlekraftwerke tatsächlich das Stromnetz?
  • Wenn ja, wodurch und an welchen Standorten findet dies genau statt?
  • In welchem Tempo könnten die Atom- und Kohlekraftwerke vom Stromnetz genommen werden, ohne die Versorgungssicherheit des Stromnetzes zu gefährden?
  • Was müsste technisch geschehen, um diesen Anpassungsprozess an (alle) erneuerbaren Stromquellen zu beschleunigen?